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Aki Kaurismäki als Romantiker? FALLENDE BLÄTTER im Heimkino

Ansa (Alma Pöysti) erbte ihre kleine Wohnung von ihrer Tante und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch, ihr Bruder und ihr Vater haben sich totgesoffen. Holappa (Jussi Vatanen) ist ein wortkarger Bauarbeiter und Alkoholiker, der in zahlreichen Verstecken wie Schaltkästen seine Vorräte bunkert. Nur mühsam gelingt es seinem Kumpel Raunio (Martti Suosalo), ihn abends zum Mitkommen zum Karaoke in eine Kneipe zu motivieren. Hier begegnen sich zum ersten Mal flüchtig die Blicke zwischen Ansa und Holappa – mehr nicht. Irgendwann treffen sie sich wieder, gehen zusammen ins Kino. Aber anschließend wird der Zettel, auf dem sie ihm ihre Telefonnummer hinterlässt, vom Winde verweht...  

Wenn der finnische Regisseur Aki Kaurismäki eine Romanze erzählt, dann setzen keine kitschigen Streicher ein, begegnen sich die Liebenden nicht im emotionalen Freudentaumel – im Gegenteil. FALLENDE BLÄTTER kommt – trotz der allgegenwärtigen Schnapsflaschen – betont nüchtern und unterkühlt daher. Etwas anderes hat das Publikum, das seine Filme kennt („Der Mann ohne Vergangenheit“ oder „Le Havre“) auch nicht erwartet. Vor monochrom gestrichenen Wänden im Hintergrund (blau oder grün) reiht er seine Darsteller auf, deren Mienenspiel sich auf den freudlos wirkenden Gesichtern kaum abzeichnet.



Dass ausgerechnet Jim Jarmuschs Zombiefilmparodie „The Dead Don’t Die“ im Kino flimmert, ist kein Zufall: Ebenso langsam, zugleich aber schräg in seinen pointierten Dialogen ist FALLENDE BLÄTTER wieder auf brüske Art lakonisch. Besonders dann, wenn sich erzwungene Dialoge (über Fußball) ebenso wie stumpfe Lebensweisheiten ganz schnell wieder in Schweigen auflösen. Dann lauschen die Zuhörer in der Karaoke-Bar eher reglos und stumm finnischer Folklore.    

Die Menschen in Finnland seien eben wortkarg und Alkoholismus ein großes gesellschaftliches Problem, bemerken auch Alma Pöysti und Jussi Vatanen in einem 18-minütigen Bonusinterview, bei dem über Zwischentitel bald auch triviale Fragen wie Erinnerungen an den ersten Drehtag oder den Umgang mit dem Hund am Set gestellt werden. Sie bleiben leider neben 16 (!) Trailern zu anderen Filmen das einzige Extras auf der Blu-ray einer ebenso stillen wie stuckbefreiten Romanze aus der Arbeiterklasse, die gerade deshalb zu Herzen geht.

LUTZ GRANERT

Titel: FALLENDE BLÄTTER
Label: Pandora Film
Land/Jahr: Finnland/Deutschland 2023 
FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 81 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht

Finnland, Fallende Blätter, Aki Kaurismäki, Cannes

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Erstmals als 4K-UHD und Blu-Ray: Roland Klicks Klassiker SUPERMARKT

Der Herumtreiber Willi (Charly Wierczejewski) ist ein Kleinkrimineller, der schon mal den Toiletten-Mann abzieht, um an etwas Bares zu kommen. Kein Wunder, dass er irgendwann einmal von der Polizei festgenommen, aufs Revier gebracht wird und kurz davor steht, ins Erziehungsheim gesteckt zu werden. Doch ihm gelingt im Trubel die Flucht. Er gerät an den Journalisten Frank (Michel Degen), der sich mit finanzieller Unterstützung und einem neuen Mantel seiner annimmt, aber zugleich nur daran denkt, wie er Willi für eine Story nutzen kann. Nachdem Willi an den dubiosen Kriminellen Theo (Walter Kohut) gerät, prostituiert er sich und wird von einem reichen Homosexuellen (Hans-Michael Rehberg) mit nach Hause genommen. Kann die Zufallsbekanntschaft Monika (Eva Mattes), mit der er eine Affäre beginnt, Willis scheinbar unaufhaltsamen Abstieg vermeiden?

Der im Hamburger Hafenviertel gedrehte, ungeschönte Mix aus Sozialdrama und Gangstertthriller gilt heute als Kultfilm. Roland Klick („Deadlock“) drehte an Originalschauplätzen und besetzte mit Charly Wierczejewski einen Laiendarsteller in der Hauptrolle, der selbst im Heim für Schwererziehbare aufwuchs und daher zahlreiche biografische Gemeinsamkeiten mit dem entwurzelten Protagonist aufweist. Die Nähe zum linken Milieu war jedoch während des Drehs von SUPERMARKT ein Problem: Charly Wierczejewski blieb schon mal ein paar Tage spurlos verschwunden, bevor er wieder auftauchte. Darin erinnert er sich in einem eigens aufgenommenen 24-minütigen Bonus-Interview – in dem er am Ende über die reißerisch-sleazigen Werbezeilen auf einem türkischen Filmposter schmunzelt. 



Auch Kameramann Jost Vacano ("RoboCop"-Regisseur Paul Verhoeven wurde durch SUPERMARKT auf ihn aufmerksam) kommt in einem Interview zu Wort und erklärt, wie er einen Kreiselstabilisator baute, um bei aller Beweglichkeit seiner mit besonders lichtsensiblem Objektiv ausgestatteten Handkamera und Identifizierung mit seinen Protagonisten allzu heftiges Gewackel zu vermeiden. Denn gerade die Authentizität und der hohe Grad an Realismus (und somit an natürlichem Licht) ist an SUPERMARKT das große Verdienst von Roland Klick – der den Titelsong „Celebration“ eines gewissen Marius West (später ungleich bekannter als Marius Müller-Westernhagen) im Film immer wieder einsetzte.

Ergänzend zu den genannten, vom Label Subkultur Entertainment selbst produzierten Extras - zu denen auch ein Audiokommentar von Roland Klick zählt - ist auf den beiden Scheiben (UHD und Blu-Ray des Films) dieser schicken Edition im Digipak u.a. auch der englischsprachige Vorspann enthalten. Nur der prätentiös-verklausulierte Essay vom Österreicher Paul Poet zu Roland Klicks Kino und dessen Einordnung in die deutsche Filmgeschichte im 20-seitigen Booklet kommt bisweilen arg selbstgefällig daher.  

LUTZ GRANERT

Titel: SUPERMARKT – Edition Deutsche Vita #20
Label: Subkultur Entertainment
Land/Jahr: BRD 1974
FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 84 Min.
Verkaufsstart: 31. Januar

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Rückkehr des Satansbratens: BEELZEBUB - VOL. 2

Inzwischen haben sich Oberschule-Schläger Tatsumi Oga und der Spross des Dämonenkönigs aneinander gewöhnt. Das Zusammenleben der Beiden bleibt jedoch turbulent – nicht nur, weil der Beel-bō getaufte Frechdachs einfach mal so Samen höllischer Prunkwinden sät, die sekundenschnell zu tödlichen Riesenpflanzen gedeihen. Auf einmal verliert Oga auch seinen Zebul Spell, der die Verbindung zwischen ihm und dem plötzlich fiebernden Baby herstellt, welches mit Ogas Feind Hidetora Tōjō andockt. Kein Wunder also, dass das etwas langatmig geratene Duell der beiden Schläger das Geschehen von Folge 17 bis 21 bestimmt.

In der Anime-Serie BEELZEBUB – VOL. 2 rückt aber auch Ogas Kumpel Takayuki Furuichi stärker in den Fokus der Geschehnisse, der sich voll pubertärer Fantasien sowohl für Dämonenamme Hilda als auch für Angelica, die hübsche, aber etwas einfältige Tochter des Dimensions-Teleportationsdämons Alaindelon interessiert, welche er sogar einmal (fast) aus dem Kerker der Banditenstadt Vlad im Dämonenreich rettet. Nachdem Oga die Ishiyama-Oberschule in Schutt und Asche gelegt hat, steht auch ein Schulwechsel an – wobei an der neuen Penne die rätselhaften „Sechs Ritter“ für Ordnung sorgen, die sich nur teilweise zu erkennen geben (Folgen 29/30).

Regisseur Yoshihiro Takamoto und Charakterdesigner Takeshi Yoshioka führen in BEELZEBUB – VOL. 2, auf welchem peppermint anime die Folgen 16 bis 30 der insgesamt 60 Folgen versammelt, die auf einem gleichnamigen Shōnen-Manga basierende Reihe konsequent fort, Studio Pierrot+ („Bleach“, „Naruto Shippuden“) produzierte. Der Humor und die reichlich vorhandenen Fights sind immer noch schrill, aber nicht mehr ganz so überdreht wie in den ersten Folgen. Als Boni sind die zwei Clean Openings und zwei Clean Endings (also Intro- und Outro-Songs ohne Credits) auf den beiden Discs enthalten, bei deren Authoring scheinbar nicht auffiel, dass ein magentafarbener Cursor bei der Folgenauswahl auf magentafarbenem Untergrund vielleicht noch einmal überdacht werden sollte...  
Wie es in Vol. 3 weitergeht, erfahrt ihr hier.

LUTZ GRANERT

Titel: BEELZEBUB – VOL. 2
Label: peppermint anime
Land/Jahr: Japan 2011
FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 360 Min.
Verkaufsstart: 26. Januar

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Ein flammendes Inferno: ROTER HIMMEL auf DVD

Die Filme von Christian Petzold gleichen oftmals Versuchsanordnungen, in denen er ebenso sachlich wie nüchtern die fragilen sozialen Beziehungen seiner Figuren analysiert. In seinem beklemmenden Drama „Barbara“ (2012) erzählt er von einer Ärztin in der DDR, die nach einem Ausreiseantrag in ein Krankenhaus der Provinz versetzt und ihr wiederholt Entwürdigungen ausgesetzt ist. „Undine“ (2020) ist eine ebenso zarte und geerdete wie poetische Liebesgeschichte zwischen einem Industrietaucher und einer Stadthistorikerin. Es sind einfache Geschichten normaler Menschen, die ohne pathetischen Stuck keinerlei Überhöhung erfahren.

ROTER HIMMEL reiht sich hier nahtlos ein. In langen Szenen und gedreht an Originalschauplätzen erzählt er eine unkonventionelle sommerliche Urlaubsromanze. Leon (Thomas Schubert) ist Schriftsteller und will die Arbeit an seinem zweiten Roman beenden, Felix (Langston Uibel) muss eine Bewerbungsmappe für die Kunsthochschule fertigstellen. Die beiden Kumpels aus Berlin planen zu arbeiten, als sie zusammen das abgelegene Ferienhaus von Felix' Familie an der Ostsee beziehen. Hier wohnt bereits die mit Felix befreundete Nadja (Paula Beer), welche sich mit Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) abends lautstark sexuell austobt. Die Laune von Leon ist im Keller, während Felix in der Hitze die Auszeit am Strand genießt. Doch kurz nachdem Leons Verleger Helmut (Matthias Brandt) eingetroffen ist, nähert sich bedrohlich ein Waldbrand...  

Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold legt großen Wert auf die messerscharfe Charakterzeichnung seiner Figuren, woraus im unerwartet explosiven Figurenquintett nicht nur Spannungen, sondern auch große Spannung entsteht. So lässt der egozentrische Leon jegliches Interesse an und Empathie für seine Mitmenschen vermissen. Als er seinen Verleger Helmut – der sich mehr für die Arbeiten von Literaturwissenschaft-Promovendin Nadja als Leons (offenkundig furchtbaren) Roman interessiert – nach einem Zusammenbruch auf der Onkologie besucht, glaubt er tatsächlich dessen Mär von Nierensteinen. Liebe und Eifersucht, Freude und Trauer sind jene Themen, welche große Literaten schon seit vielen Jahrunderten beschäftigen – und Christian Petzold hier insbesondere zum Ende hin mit selbstreflexivem Augenzwinkern ebenfalls verhandelt. Auch durch das nuancierte Spiel von Paula Beer („Transit“) bietet „Roter Himmel“ eine filmisch ebenso konzentrierte wie intensive Seherfahrung, die das Publikum fordert.

Als Boni sind vier Interviews auf der vorliegenden DVD enthalten. In einem davon gibt Christian Petzold reflektiert Auskunft über den Entstehungsprozess von ROTER HIMMEL und u.a. die Metapher des Waldbrands: Es gehe in seinem Sommerfilm um „das Ende eines mythischen Raums“ – ganz wie durch blockierte literarische Fantasie. Ein weiteres Gespräch mit Petzold findet sich in einem beiligenden 16-seitigen Booklet.

LUTZ GRANERT

Titel: ROTER HIMMEL
Label: good movies
Land/Jahr: Deutschland 2023
FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 99 Min.
Verlaufsstart: veröffentlicht

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