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Polter Tokyo Heidi

Heidi, Heidi! Deine Welt sind die Bits und Bytes

HEIDI, HEIDI! DEINE WELT SIND DIE BITS UND BYTES

Mit Polder - Tokyo Heidi schicken die beiden Filmemacher Samuel Schwarz und Julian M. Grünthal ihre Zuschauer auf eine Reise zwischen unterschiedliche Realitätsebenen. Dabei schaffen sie einen mit vielen Reminiszenzen gespickten Bilderrausch, der zu beeindrucken vermag. 


Mit ihren beiden Kinderbüchern „Heidis Lehr- und Wanderjahre“ und „Heidi kann brauchen, was es gelernt hat“ hat die 1827 geborene Schweizerin Johanna Spyri in den 1880er Jahren zweifellos eine der berühmtesten Kinderfiguren der Welt geschaffen. Im Jahre 1974 schaffte Heidi schließlich den Sprung vom Buch ins Fernsehprogramm. Die japanische Produktionsfirma Zuiyo Enterprise erweckte das Mädchen für 52 Episoden zum Leben – als eine der ersten Anime-Produktionen im deutschen Fernsehen. Doch obwohl es der Titel hier suggeriert und im Film gelegentlich sogar darauf eingegangen wird, hat Polder - Tokyo Heidi mit Spyris Kultcharakter so viel zu tun wie Gummireifen mit Gummibärchen.

In dem Film von Samuel Schwarz und Julian M. Grünthal, die zuvor bereits gemeinsam das Drama „Mary And Johnny“ inszenierten, geht es um die Japanerin Ryuko (Nina Fog, „Gespensterjäger – Auf eisiger Spur“), die darunter leidet, dass ihr Ehemann, der deutsche Spieleentwickler Marcus (Christoph Bach, „Buddha's Little Finger“) kurz vor der Fertigstellung des Computerspiels „Red Book“ unter seltsamen Umständen verstorben ist. Bei ihren Nachforschungen findet sie heraus, dass während eines Testlaufs etwas Schreckliches passiert ist. Um mehr zu erfahren begibt sie sich in Marcus‘ Spiel, das eine völlig neue Art virtuellen Erlebnisses bietet - die komplette Immersion. Zunehmend kann sie jedoch nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden.

Im Kern handelt es sich bei Polder - Tokyo Heidi also um eine klassische Geschichte um die Gefahren eines Abtauchens in eine zweite Realität. Der Film betritt damit also die bekannten Pfade, die von Steven Hilliard Sterns „Labyrinth der Monster“ (1982) über Christopher Nolans „Inception“ (2010) bis zu David Cronenbergs „eXistenZ“ (1999) bereits verschiedene Filmschaffende auf unterschiedliche Weise beschritten haben. Besonders zu Cronenbergs Werk hat der Film von Grünthal und Schwarz spürbare Parallelen. Neben der Tatsache, dass es sich in beiden Fällen um ein Computerspiel handelt, ist es vor allem die Verschachtelung der verschiedenen Wirklichkeitsebenen, bei denen selbst am Ende offen bleibt in welcher man sich nun befindet, welche die beiden Werke eint.

Natürlich ist Polder - Tokyo Heidi trotz der unverkennbaren Gemeinsamkeiten kein plumpes Remake der 17 Jahre älteren Cronenberg-Produktion. Der Film des Regieduos ist ein komplett eigenständiges Werk, das deutlich weniger kopflastig als „eXistenZ“, daherkommt. So ist die Produktion von Schwarz und Grünthal deutlich leichter zugänglich und erheblich massenkompatibler.

Besonders Filmfans, vor allem Freunde des japanischen Kinos, werden an dem Werk des Regietandems ihre Freude haben. Polder - Tokyo Heidi bietet ein buntes Potpourri von Cosplay über Horror im Stile von Hideo Nakatas „Ring - Das Original“ (1998) bis zum Genre des Yuri, der Liebe zwischen zwei Frauen, ist hier nahezu alles enthalten was man von der japanischen Filmkultur kennt – nur auf Kaiju, den japanischen Riesenmonsterfilm, wurde erstaunlicherweise verzichtet. Dazu gibt es allerlei westliche Einflüsse, beispielsweise die goldene Ära der Bondfilme, allzu deutlich am Schluss, der spürbar an Peter Roger Hunts „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ (1969) erinnert, selbstverständlich „Heidi“ und sogar die Filme eines Friedrich Wilhelm Murnaus werden referenziert.

Eine ziemliche Menge an Reminiszenzen also oder anders ausgedrückt: ein bewusst herbeigeführtes Bild- und Realitätsebenenchaos, das den Zuschauer immer wieder absichtlich irritiert. Und dieses Konzept funktioniert anfangs wirklich sehr gut. Was natürlich auch daran liegt, dass Polder - Tokyo Heidi  technisch fehlerfrei und mit viel Liebe zum Detail umgesetzt wurde. Die gesamte Optik wirkt sehr edel, die Bilder von Kameramann Quinn Reimann vermitteln stets die gewollte Atmosphäre, und auch die Darsteller spielen ihre Rollen hervorragend.

Nina Fog, Wanda Wylowa („Mord hinterm Vorhang“), Friederike Kempter („Pandorum “), Philippe Graber („Über-Ich und Du“) und Christoph Bach spielen ihre Rollen durch die Bank weg überzeugend. Vor allem die in Deutschland eher weniger bekannte Hauptdarstellerin Nina Fog, die normalerweise eher kleinere Rollen in deutschen Fernsehserien wie „Heiter bis tödlich - Hubert und Staller“ oder „Der Kriminalist“ bekleidet, zeigt hier viel schauspielerisches Können und trägt Polder - Tokyo Heidi bisweilen auch über die eine oder andere Länge, die der mit zahlreichen Wendungen angereicherte Bilderrausch mit mehreren Realitätsebenen und aller optischer Brillanz nicht immer ganz zu füllen vermag.

Die beiden Regisseure zeigen viel Stilbewusstsein, denn Polder - Tokyo Heidi kommt mit einer beeindruckenden Optik und einem interessanten Mix verschiedener Genres daher. Und auch das Drehbuch von Samuel Schwarz verdient Respekt, denn dieser Film ist herrlich anders als die häufige Einheitsware, die man sonst in der deutschen Filmlandschaft antrifft. Leider verlieren sich  Schwarz und Julian M. Grünthal jedoch mit zunehmender Laufzeit ein wenig in ihrem Bilderrausch und vergessen dabei das Geschichtenerzählen. Ein äußerst respekteinflößendes Werk, das in jedem Fall Lust auf weitere Produktionen der beiden Filmemacher macht.


Florian Tritsch                                                                              

Titel: Polder - Tokyo Heidi
Land/Jahr: Deutschland/Schweiz 2015
Label: Niama-Film
FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 87 Min.
Kinostart: 1. Dezember

 

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