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„Pretty Woman“ für die Generation Z

Der diesjährige Oscargewinner hat ein paar Anlaufschwierigkeiten: Wie gut ist ANORA wirklich – aktuell frisch auf DVD, Blu-ray und im Mediabook erhältlich.

Bei der diesjährigen Oscarverleihung gingen das durchgeknallte Gangstermusical „Emilia Pérez“ mit 13 und das epische Architekten-Drama „Der Brutalist“ sowie Disneys fantasiereiche Ausstattungsorgie „Wicked“ mit je zehn Nominierungen als Favoriten ins Rennen. Großer Gewinner des Abends war jedoch eine ungleich preisgünstigere Independent-Produktion: Das Drama ANORA räumte fünf Preise ab, darunter in den Kategorien Bester Film, Beste Regie und Beste Hauptdarstellerin – und das, obwohl sich erst im zweiten Drittel seine Virtuosität andeutet. 

Denn anfangs reiht Filmemacher Sean Baker nur temporeich montierte Ausschnitte aus stilisierten Scheinrealitäten aneinander. Die selbstbewusste erotische Tänzerin Anora (Mikey Madison) spricht Russisch und wird daher in einem Stripclub dem millionenschweren und in den Tag hinein lebenden Nichtsnutz und Oligarchen-Sohn Iwan (Mark Eidelstein) vorgestellt, der schnell Gefallen an ihr findet. Arbeitsbeziehung und echte Gefühle gehen beim gemeinsamen Zocken, Partymachen, Luxus-Shopping und Sex fließend ineinander über – und das Paar heiratet spontan in Las Vegas. 

Nach diesem rauschhaften und zerstreuenden Auftakt findet Filmemacher Sean Baker ANORA im zweiten Drittel zu einem ungleich geerdeten, souveränen Rhythmus, als Iwans Eltern von der Ehe erfahren und diese annullieren wollen. Nur kommen Iwans väterlicher Pate Toros, der weichliche Garnick und der liebenswerte Igor nicht gegen die kratzbürstige Anora an, die sich von ihnen auch gefesselt nicht bändigen lassen will – während Iwan schnell das Weite sucht. Wie Mikey Madison mit – im doppelten Sinne – großer Schlagfertigkeit dem tölpelhaften Trio minutenlang zusetzt, ist urkomisch und stark gespielt. Die Suche nach Iwan kippt zur schroffen (Gangster-)Komödie und reichlich Situationskomik, bevor im enorm kraftvollen und intensiven letzten Drittel bis zu einer subtilen Schlussszene tiefe Gefühle und gesellschaftliche Schichten verhandelt werden. Hier schwingt sich ANORA dann zu enorm kraftvollem Kino auf, das bewegt und mitreißt.

Die Blu-ray kommt mit einer 67-minütigen Dokumentation „Stripped Down“ zur Entstehung des Films einher, welches einem Produktionstagebuch gleich. Neben Casting Clips sind zudem Deleted Scenes (7 Minuten) enthalten, die u.a. zeigen, wie das Business funktioniert, wenn Anora mit unpersönlichem Smalltalk einen älteren Mann becirct.

LUTZ GRANERT

Titel: ANORA
Label: capelight pictures
Land/Jahr: USA 2024
FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 140 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht

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