Der Wolf und die Waise

THE DEER KING ist ursprünglich eine Fantasy-Novel aus Japan, geschrieben von Nahoko Uehashi und in zwei Werken im September 2014 durch Kadokawa publiziert wurde. Zwischen Juli 2021 und März 2022 erschien eine Manga-Adaption aus der Feder von Taro Sekiguchi, die online, ebenfalls durch Kadokawa, veröffentlicht wurde. Am 4. Februar 2022 folgt die Adaption für die große Kino-Leinwand, die nun als Sammleredition nochmal neu auf den Markt kommt.

Ein Angriffskrieg durch Zol stürzt das sonst ruhige Akhafa in die Krise. Unzählige Menschen verlieren ihr Leben und Tausende Familien werden zerrissen – doch so schnell wie der Krieg über Akhafa kam, so schnell wurde er beendet. Nicht etwa politischer Führung war das zu verdanken, sondern einer mysteriösen Krankheit – dem schwarzen Wolfsfieber. Die Krankheit zwingt beide Parteien zu einem Ende der Kampfhandlungen und Frieden kehrt ein.

Jahre später greift die Seuche, die durch gemeinsame Bemühungen beider Nationen als ausgerottet galt, um sich und bricht in Zol aus. Ein Rudel infizierter Wölfe rennt durch eine von Zol kontrollierte Salzmine, in der verurteilte Verbrecher ihre Strafen als Sklaven sühnen. Nicht wenige von ihnen bis zu ihrem Lebensende. Den gierigen Fängen der wilden Bestien fallen fast alle Sklaven sowie Wärter und andere Zuarbeiter zum Opfer. Nur zwei Menschen überleben: ein ehemaliger Kommandant aus Akhafa, Van, und ein kleines Mädchen, Yuna. Zwar wird Van gebissen, doch scheint die Seuche auf ihn keine Wirkung zu haben.

Da Yuna eine Waise ist und niemanden hat, der sich um sie kümmern könnte, beschließt Van, sich des Mädchens anzunehmen. Sie erreichen ein ruhiges, nahezu idyllisches Dorf mit weiten Feldern und Wäldern, wo sie unterkommen. Van tut alles, um Yuna ein ruhiges Leben zu ermöglichen, doch um sie herum breitet sich das schwarze Wolfsfieber aus und droht, die Menschheit zu vernichten.

Verzweifelt suchen die Menschen nach einer Medizin und das erhoffte, ruhige Leben von Van und Yuna gerät in eine ferne Zukunft. Die beiden geraten in das Visier böser Absichten, nicht zuletzt, da Van eine natürliche Resistenz gegen das Fieber zu haben scheint. Eine Assassine versucht, Van zu töten, um die Herstellung eines Gegenmittels zu verhindern, ein Arzt hingegen versucht, Van überhaupt zu finden. Doch auch der Gott in Weiß hat keine guten Absichten …

In den Fußstapfen von Ghibli

Mit THE DEER KING feiert Masashi Ando sein Debüt als Regisseur. Bereits seit 1990 ist der leidenschaftliche Charakter-Designer, Animator und Drehbuchautor in der Anime-Branche tätig. Er arbeitete unter anderem an „The Last: Naruto The Movie“ sowie „Evangelion: 3.0 You Can (Not) Redo“ mit. Hervorzuheben ist, dass Ando zwischen 1990 und 2001 für das prestigeträchtige Studio Ghibli gearbeitet hat. An der Seite Hayao Miyazakis, Gründungsvater des Studios, arbeitete er an Meisterwerken wie „Prinzessin Mononoke“ und „Chihiros Reise ins Zauberland“ mit. Ihm zur Seite, ebenfalls als Regisseur, steht Masayuki Miyaji, der als Regie-Assistent an „Chihiros Reise ins Zauberland“ mitgewirkt hat.

Andos Erfahrungen mit Ghibli sind dem THE DEER KING anzumerken. Detaillierte Hintergründe mit saftigem Grün und weitem, blauen Himmel für das Dorf, in dem Van und Yuna zur Ruhe kommen, bis hin zu verschiedenen, tristen Grau- und Brauntönen innerhalb der Salzmine. Dabei sind die Landschaften nie so dominant, dass sie den Figuren keinen Raum mehr lassen.

Die verschiedenen Charaktere sind nicht nur äußerlich, sondern auch vom Wesen her bunt gestaltet. Van mit seiner stoischen, vom Militär antrainierten Ruhe und die neugierige Yuna bilden ein kontrastreiches Pärchen, bei dem nicht immer nur Harmonie herrscht. Dabei wirken die Gespräche der beiden trotz allem auf Augenhöhe. Selbst scheinbar fiesen Nebenfiguren wie der schönen, aber gefährlichen Assassine Sea und dem verrückten Arzt Hossal wird genügend Zeit zur Entwicklung gegeben.

Sehenswert sind auch die, leider viel zu seltenen, Action-Szenen. Dafür sind sie atemberaubend auf die Leinwand gebannt. Die flüssig ineinander übergreifenden Bilder sowie die punktgenauen Bewegungen der Akteure erinnern stark an ähnliche Szenen aus „Prinzessin Mononoke“. Gerade Vans spezielle Fähigkeiten kommen den kurzen Einlagen zugute. Sie erhalten gerade wegen der rar gesäten Action-Szenen einen Hauch von Einzigartigkeit.

Für die musikalische Untermalung sorgt Harumi Fuuki. Die aus Osaka (Japan) stammende Komponistin arbeitete bereits an größeren Filmproduktionen wie „Miss Hakusai“ und „Digimon Adventure: Last Evolution Kizuna“ mit. Ihre Stücke haben eine elegant-sanfte und doch mächtige Resonanz. „Cave“ beispielsweise ist ein klavierdominiertes Stück, das einsetzt, als die Szenerie der von Sklaven gefüllten Salzmine gezeigt wird. Die durchweg langsamen Tastentöne, die sich ab Mitte des Titels mit Streichinstrumenten vermischen, schaffen eine düstere und trostlose Atmosphäre, die zugleich die Ausweglosigkeit der Sklaven untermalt.

Fazit

THE DEER KING spielt in einer komplexen Welt, deren gesamte Tiefe leider nicht in die 114 Minuten des Films passt. An manchen Stellen, gerade wegen der wunderschön gestalteten Gegenden, wünschen sich Auge und Hirn mehr zu sehen. Das Gefühl, dass es mehr zu entdecken und erkunden gibt, bleibt ein bittersüßer Nachgeschmack am Ende des Films.

Die gezeigten Figuren überzeugen und wo die Autorin dieses Artikels dachte, die kleine Yuna würde sicherlich nervig werden, wurde sie eines Besseren belehrt. Die Chemie der beiden Hauptfiguren stimmt und wirkt sowohl fragil und zart als auch stark und unbeugsam. THE DEER KING ist nicht nur für Ghibli-Fans eine klare Empfehlung, sondern auch für all jene neugierigen Augen, die ein schönes Fantasy-Abenteuer mit schöner Musik, tollen Figuren und tiefgründiger Geschichte erleben wollen.

Für Sammler und Fans von „The Deer King“ gibt es mit der imited Collector's Edition eine besondere Edition, die umfangreiches Bonusmaterial enthält. Diese Edition beinhaltet ein 40-seitiges, gebundenes Artbook, das tiefe Einblicke in die beeindruckenden visuellen Welten des Films bietet. Darüber hinaus gibt es drei Artcards, die beidseitig bedruckt sind und somit insgesamt sechs verschiedene Motive zeigen. Ein 72-seitiges, gebundenes Notizbuch mit kariertem Papier ist ebenfalls Teil des Pakets, ideal für eigene Notizen oder Skizzen. 

LILI SCHMIRGAL