„Mad Max“ in der Toscana
Der italienische Film lebt! LOST CITY – DAS GESETZ DER STRASSE zeigt auf beeindruckende Weise, dass nicht nur Hollywood großartige Geschichten erzählen kann. Hier treffen gute Bilder auf eine spannende Story.
Eine kurze Szene im Tiergeschäft. Ein Mädchen hält einen Hund, ein blonder Junge beobachtet sie durch ein Aquarium. Vielleicht war das eine Anspielung auf Baz Luhrmanns „Romeo + Julia“? Schließlich sind wir in Italien ...
Die nächste Szene beginnt mit einer traumhaften Einstellung am Meer. Das blaue Wasser glitzert in der Sonne. Urlaubsstimmung. Zwei Jungs tauchen und finden ein altes Holzkreuz. So weit, so normal im katholischen Italien. Stutzig macht, dass keiner der beiden weiß, was es mit dem Relikt auf sich hat. Auch die Bilder werden schmutziger. Ein gelber Schleier legt sich über den Film und lüftet sich bis auf wenige Ausnahmen nicht wieder. Gelb signalisiert sofort „giftig“ oder „Gefahr“. Die Kulisse im Hintergrund wirkt bedrohlich: ein großes Industriegelände mit vielen Schornsteinen und Biohazard-Schildern.
Genau diese Bildsprache nutzt George Miller in „Mad Max – Fury Road“. Das Publikum kann den Staub auf der Zunge fühlen. Was ist hier passiert? Und es wird noch merkwürdiger. Die Jungs schleppen das Kreuz mit zum Fischerboot des (vermeintlichen) Großvaters. Hier werden die beiden mit wilden Beschimpfungen begrüßt. Die Stimmung ist unangenehm. Lediglich die Beziehung der beiden 13-Jährigen Pietro (Dennis Protopapa) und Cristian (Giuliano Soprano), scheint innig. Wenn Cristian einen seiner epileptischen Anfälle hat, weiß Pietro ganz genau, was zu tun ist. Sie müssen sich umeinander kümmern. Schnell stellt sich heraus, dass der Alte die Jungs aus Mitleid bei sich aufgenommen hat. Zu essen gibt es nie genug. Eine Schule scheinen sie auch nicht zu besuchen. Deswegen ist Pietro froh, als ihm ein Job angeboten wurde. Er soll ein kleines Tiergeschäft anzünden. Ein Auftrag der Mafia vielleicht. Die Mafia gibt es aber, wie die Kirche, schon eine ganze Weile nicht mehr. Pietro soll einen Auftrag für „Die Ameisen“ erledigen. Deren Anführer ist Hothead (Alessandro Borghi). Der Look dieser Figur erinnert stark an Tom Hardy in „Bronson“. Hothead ist bedrohlich und fürsorglich zugleich. Nach einiger Anstrengung werden Pietro und Cristian Teil der Gruppe.
Hier feiern Kinder wilde Partys und lecken an giftigen Fröschen. Es gibt keinen Besitz und keine Regeln. Deswegen können die Jungs auch an den Strand von New Taranto schwimmen. Hier gibt es genug zu essen für die wohlhabenderen Schichten. Hier glitzert das Wasser noch in einem tiefen Blau. Sabrina (Ludovica Nasti) ist als Waise in der Stahlfabrik untergebracht und muss Strafarbeit leisten, wenn sie versucht zu fliehen. Sabrina ist die Verbindung zur zweiten Storyline um die Polizistin Katia (Barbara Ronchi). Sie ist die Gegenspielerin von Hothead. Katia nimmt sich Sabrina an, die eine Hauptzeugin in den Ermittlungen wegen des Brandes im Tiergeschäft ist.
Regisseur Alessandro Celli greift verschiedene Motive in seinem Film auf. Neben der Dystopie von „Mad Max“ und dem Kampf ums Überleben wie bei „Herr der Fliegen“ wird eine kindliche Dreiecksbeziehung erzählt. Der Konflikt „Arm gegen Reich“ ist omnipräsent, gerät oft in den Hintergrund. Zudem scheint Afrika das gelobte Land zu sein. Ein Wink in Richtung der italienischen Flüchtlingsproblematik. Die Boote aus Afrika landen direkt an den Mittelmeerstränden des Landes. Dorthin wollen die Jungs flüchten, wenn sie genug Geld gespart haben.
LOST CITY – DAS GESETZ DER STRASSE ist eine schmutzige Dystopie mit vielen guten Ansatzpunkten. Dabei bleibt der Film spannend und bietet einige gute Actionszenen. Wer seinen Horizont ein wenig erweitern möchte, dem sei dieser Film ans Herz gelegt. Der italienische „Mad Max“ ist auf jeden Fall nicht langweilig und bleibt im Kopf.
CLAUDIA SÖLLNER
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