KRIEG UND FRIEDEN
Die sowjetische, ganz und gar eigensinnige Verfilmung von Leo Tolstois berühmtem Roman „Krieg und Frieden“ erhielt kürzlich eine Restaurierung und wird nun von Bildstörung in einer mustergültigen Heimkinoedition veröffentlicht.
KRIEG UND FRIEDEN war ein Monumentalprojekt, das Regisseur und Darsteller Sergej Bondartschuk gleich zwei Herzinfarkte während des mehrjährigen Drehs einbrachte, mit 12.000 Statisten und über 300 Sprechrollen in Russisch, Französisch und Deutsch aufwartete, damals als der teuerste Film aller Zeit galt sowie als russisch-nationalistisches Prestigeprojekt angelegt war, mit dem Mosfilm sich gegenüber Hollywood bzw. besonders King Vidors Verfilmung aus dem Jahr 1956 als überlegen beweisen wollte. Gerade Letzteres, die Ebenbürtigkeit der sowjetischen Filmindustrie zur US-amerikanischen Filmindustrie in Zeiten des Kalten Krieges, kann Bondartschuks Siebenstunden-Epos durchaus für sich reklamieren: als Monumentalfilm mit großen Schauwerten steht er den US-Monumentalfilmen in Sachen technische Qualität in nichts nach.
KRIEG UND FRIEDEN ist ein Reigen aus atemberaubenden Sets voller glitzernder Ballsäle und ausgedehnter Schlachtfelder, eine Parade aus tollen Darstellern in prachtvollen Kostümen, ein groß angelegtes Gesellschaftspanorama, das zugleich auch von Liebe, Herzschmerz und Leidenschaften im Kleinen erzählt. Sphärische Naturbilder und impressionistische, fast tranceartige Episoden werden immer wieder auftauchen und die Routinen des ernsten Eposfilms durchbrechen. KRIEG UND FRIEDEN plätschert nicht (selbst)zufrieden vor sich hin, sondern sucht immer wieder das Außergewöhnliche.
Der zweite Teil des Vierteilers, „Natascha Rostowa“, ist da besonders außergewöhnlich. Der Film taucht die junge Protagonistin, als sie sich in den Taugenichts Kuragin verliebt, in eine Art Trancezustand: Fünf Minuten lang sehen wir eine Abfolge weichgezeichneter, rauchiger, teils mehrfach überlagerter Bilder, wild und elliptisch montiert mit fast subliminalen, von Glöckchenklängen markierten Bildstörungen bei jedem Schnitt. Verliebtheit als Rausch, als Trance – Momente, die KRIEG UND FRIEDEN zu einem aufregenden, immer wieder verblüffenden und überraschenden Film machen, in dem audiovisuelle Attraktionen gerade auch jenseits der großen Ball- und Schlachten-Choreografien zu entdecken sind.
KRIEG UND FRIEDEN wurde kürzlich digital restauriert und erhält in Deutschland nun endlich eine wirklich würdige Heimkinoedition dieses Films – Bildstörung sei (wieder einmal) Dank. In vier (DVD) bzw. drei (Blu-ray) Discs enthalten ist nicht nur der Film in einer bislang beispiellosen Qualität, sondern auch zwei zeitgenössische Making-Of-Dokus (einmal aus der Sowjetunion und einmal eine Produktion des WDR) sowie ein abendfüllender Dokumentarfilm über den Regisseur (und Darsteller des Pierre Besuchow) Sergej Bondartschuk. Ein Booklet ergänzt diese Edition. Und dass diese jetzt kurz vor Weihnachten veröffentlicht wird, passt wie die Faust aufs Auge: das perfekte Geschenk für Cinephile und Liebhaber klassischer russischer Literatur gleichermaßen, damit Weihnachten dieses Jahr besonders rauschhaft wird.
DAVID LEUENBERGER
Titel: KRIEG UND FRIEDEN
Land/Jahr: Sowjetunion 1965-67
Label: Bildstörung
FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 422 Min.
Verkaufsstart: 26. November
sergej bondartschuk, monumental, epos, leo tolstoi, krieg und frieden, filmkritik, film, rezension
- Erstellt am .
- Aufrufe: 2278