NEW ORDER - DIE NEUE WELTORDNUNG
Bewaffnete Rebellen vermiesen der Hochzeitsgesellschaft in einem Luxusanwesen gehörig die Partylaune: Der dystopische Thriller NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG liefert die blutige, aber auch gesellschaftskritische Antwort auf die auseinanderklüftende Schere zwischen Arm und Reich.
Seit den 1970er Jahren wird eine Segregation besonders in den großen lateinamerikanischen Städten vorangetrieben. Die Gegensätze zwischen extremem Reichtum und bitterer Armut haben sich verstärkt, wodurch sich nicht nur eng bebaute Slums und mit großen Grünflächen verschwenderisch angelegte Luxusgegenden herausgebildet haben. Denn in den meisten Fällen residieren die Gutbetuchten inzwischen in ihren Villen in „Gated Communities“ („Barrios cerrados“), einem eigenen Siedlungszentrum innerhalb einer Stadt, das nicht nur durch hohe Mauern und Zäune, sondern auch durch Sicherheitspersonal und Alarmanlagen jeden Kontakt der Reichen zur finanziell wie sozial weniger abgesicherten Durchschnittsbevölkerung unterbindet.
Zu Beginn des bitterbösen mexikanischen Thrillers NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG prallen diese beiden Bevölkerungsschichten aufeinander. Eine Familie der Oberschicht feiert in ihrem verschwenderischen Anwesen die Hochzeit von Marianne (Naian González Norvind). Es wird zu gedämpfter Musik getanzt, das Personal in der Küche arbeitet beim Ausschenken alkoholischer Getränke auf Hochtouren, um die Party am Laufen zu halten. Dann steht plötzlich mit Orlando ein verzweifelter, ehemaliger Angestellter des Hauses vor der Tür und bittet für die Herz-OP seiner Frau um 200.000 Pesos, die er selbst nicht einmal annähernd aufbringen kann. Während ihre Mutter versucht, ihn mit ein paar Almosen abzuspeisen, fasst sich Marianne ein Herz und will ihm helfen. Dabei will sie Orlando, der inzwischen enttäuscht das Grundstück verlassen hat, zu Hause bei ihm das Geld übergeben und steigt in den SUV. Doch daraus wird nichts: Das Militär hat die Straßen abgeriegelt, denn die seit drei Tagen andauernden Plünderungen, über die im Radio berichtet wird, haben sich inzwischen ausgeweitet. Und während Marianne in Gefangenschaft gerät, verschaffen sich Rebellen mithilfe des Hauspersonals auf ihrer Hochzeitsparty Zutritt und veranstalten mit Schusswaffen ein regelrechtes Blutbad …
Produzent, Regisseur und Drehbuchautor Michel Franco setzt sich durchaus ernsthaft mit Alltagsproblemen auseinander: Sorgen die Milizen in NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG zunächst für Sicherheit und – mit immer neuen Bestimmungen zu Arbeitserlaubnissen und Ausgangssperren – eine Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung (wobei bei Missachtung der Regeln die Todesstrafe droht), so grassiert unter dieser Oberfläche die Korruption. Reiche werden inhaftiert und gefoltert, Videobotschaften zum Erpressen von Lösegeldzahlungen aufgezeichnet.
Mit durchaus erkennbaren Parallelen zur „The Purge“-Filmreihe schreckt auch NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG nicht vor brutalen und blutigen Gewaltentladungen zurück, welche aber nicht selbstzweckhaft wirken, sondern eindringlich und aufrüttelnd das realistische Bild einer „Was wäre, wenn?“-Fiktion zeichnen. Kopfschüsse und (zum Teil) nackte Menschen in Massengräbern, an denen noch der letzte Rest der grünen Farbbomben von der eigentlichen, chaotisch agierenden Protestbewegung klebt, zeigen schonungslos, was eine faschistische (Militär-)Diktatur für brachiale Folgen nach sich ziehen kann, die Kameramann Yves Cape („L'Humanité“) in suggestiven Bildern einfängt, die – durch ihre Assoziationen mit dem Nationalsozialismus – durchaus frösteln lassen.
Michel Franco behält dabei stets das große Ganze im Blick – und zeichnet das Gesamtbild seiner Dystopie zufolge sozialer Ungerechtigkeit anhand der parallel erzählten Schicksale von Marianne, Orlando und dessen Neffen Christian, dem es gelingt, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen (die stets sichtbar getragen werden muss). Alle drei sind gleichermaßen Identifikationsfiguren, weswegen ihr Schicksal und ihre Handlungsmotivationen umso mehr berühren. Mit dieser ausgewogenen Erzählperspektive konnte Franco auch die Juroren des Filmfestivals in Venedig dieses Jahr überzeugen: NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG wurde auf dem diesjährigen Festival mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet.
LUTZ GRANERT
Titel: NEW ORDER – DIE NEUE WELTORDNUNG
Label: Ascot Elite
Land/Jahr: Mexiko/Frankreich 2020
FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 86 Min.
Verkaufsstart: 19. November
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