Blood Simple
Blood Simple
When noir meets giallo
BLOOD SIMPLE, das Spielfilmdebüt der Gebrüder Coen von 1984, präsentiert bereits alle Stärken, aber auch Schwächen der beiden Autoren-Produzenten-Regisseure und bietet solide Genre-Unterhaltung für Fans des film noir. Am 16. November erscheint der der Film erstmals in 4K-Rstaurierung auf DVD und Blu-ray.
Postmodernes Zitatenkino – ein Hybrid-Kino, das klassisches Genre mit verfremdeten Elementen aus der Filmgeschichte anreichert, es teilweise mit Erzähltechniken des Kunstkinos an den Mann bringt und das mainstream- und arthouse-affine Publikum gleichermaßen zu begeistern weiß wie das Boulevard und den Feuilleton... Unweigerlich denken da viele an Quentin Tarantino. Als der künftige Regisseur noch von „Pulp Fiction“ träumte und in einer Videothek abgenudelte VHS in Regale einräumte, hatten die Gebrüder Coen mit ihrem ersten Film BLOOD SIMPLE bereits die Blaupause für das postmoderne Zitatenkino und zugleich für ihre ganze Karriere geschaffen. Dass sie das mit einem film noir taten, verwundert wenig, handelt es sich doch um das ultimative Hybrid-Genre: US-amerikanisches Crime-Melodrama erzählt in der Ästhetik europäischen Kunstkinos. Die Handlung erinnert an Aberdutzende Noirs: Ray, Bartender in einer abgeranzten Kneipe irgendwo in der Südstaaten-Provinz und Abby, die Ehefrau des Bar-Besitzers Marty, beginnen eine Affäre. Marty ist davon natürlich nicht begeistert und engagiert den schmierigen Privatdetektiv Lorren, um die beiden zu beschatten und schließlich gar zu ermorden. Es folgt das, was in jedem film noir passiert: alles geht fürchterlich schief!
BLOOD SIMPLE ist ein solider kleiner neo-noir, der Fans des Genres, die auch etwas happigere Gewalt ertragen, vollends zufrieden stellen wird. Besonders originell ist er allerdings nicht. Wie das erste Mordopfer überall zähe Blutspuren verteilt, hinterlassen die Coen-Gebrüder breitflächig Spuren der Filmgeschichte. Natürlich wird ausgiebig Hitchcock zitiert: ein Wagen, der im falschen Moment einfach nicht verschwinden kann („Psycho“), ein graviertes Feuerzeug, das am Ort des Verbrechens liegen gelassen wird („Strangers on a Train“). Beim ausgesucht grausamen Showdown demonstrieren die Coens, dass sie Carpenters Belagerungs-Szenarien à la „Halloween“ ebenso beherrschen wie die irrsinnigen, surrealen Gewaltdarstellungen des italienischen Giallo.
BLOOD SIMPLE eklektisch zu nennen, wäre eine glatte Untertreibung. Er ist aber auf jeden Fall schon sehr Coen’isch – im Guten wie im Schlechten. Die unausgegorene Mischung aus ungewöhnlich gefilmten Momenten und einer manchmal etwas zu verkrampften Bemühung, „skurril“ zu sein, die auch das spätere Coen-Werk kennzeichnet, ist schon hier zu finden. Im gleichen Film entdeckt man gleichermaßen eine bizarre Kamerafahrt über einen Bartresen, bei dem die Kamera kurzzeitig über den Kopf eines schlafenden Betrunkenen „steigen“ muss und einen statischen Dialog, in dem Abby umständlich darlegt, wie Marty sich selbst als „anal im Kopf“ bezeichnete. Der kalte Zynismus der Coens, die ihre Charaktere so sicher wie Figuren in einem Schachspiel bewegen, sie aber eben auch nur wie Spielsteine behandeln, ist in BLOOD SIMPLE schon vollends ausgeprägt. Das hölzerne Spiel der beiden Hauptdarsteller John Getz als Ray und Frances McDormand als Abby schafft da keine Abhilfe. Dem gegenüber stehen die Over-the-Top-Darstellungen von Dan Hedaya und M. Emmet Walsh als Planer des Mordes: beide spielen, oder – besser gesagt – schmieren jeden anderen mit großem Elan an die Wand.
Trotz aller Kritikpunkte ist BLOOD SIMPLE einer sehenswerter neo-noir und zeigt, dass die Coens rein handwerklich gesehen bereits in ihrem Debüt topfit waren. Die Eskalation aus Leidenschaft, Misstrauen, Missverständnis, Verrat, Mordplan und schließlich kaltblütigem Mord treiben sie mit ruhiger Hand so gekonnt wie unerbittlich voran und beweisen dabei ein großes Gespür für sinnliche Bilder: Staub wird von Stiefeln aufgewirbelt, lockere Erde fällt schwer auf eine (Fast-)Leiche, Blut klebt zäh an den Fingern und setzt sich hartnäckig in Rückbankpolstern fest. Wenn der letzte Schuss verhallt ist, bleibt nur zu sagen: als vermeintlich visionäre Originale werden die Coens maßlos überschätzt - aber verlässliche und fähige Genre-Filmemacher sind sie auf jeden Fall.
DAVID LEUENBERGER
Titel: BLOOD SIMPLE
Land/Jahr: USA 1984
Label: Studiocanal
FSK & Laufzeit: ab 18, ca. 92 Min.
Verkaufsstart: 16. November
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