
Die da oben - wir hier unten
Gebrochene Wahlversprechen und ein schmaler Meinungskorridor? Eine Studie versucht, durch Interviews Erklärungen für den Erfolg des Rechtspopulismus in Sachsen zu finden.
Pegida-Bewegung und das zweithöchste Wahlergebnis für die AfD (37,3%) bei der Bundestagswahl 2025: Sachsen gilt laut Umfragen als Bundesland mit dem geringsten Werten beim Vertrauen in Politik und Medien. Also wagte ein Forschungsteam die Probe aufs Exempel und fragte bei einem Querschnitt der Bevölkerung zu diesen Themen nach. Das Ergebnis trägt den Titel VON LÜGENPRESSE UND ABGEHOBENEN ELITEN: JOURNALISMUS- UND DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS IN SACHSEN und dokumentiert über 280 Seiten (plus Anhang) detailreich und fundiert mit zahlreichen Bezügen auf kommunikationswissenschaftliche Fachliteratur eine aufsehenerregende sozialwissenschaftliche Studie, in der fernab von „Wutbürger“-Phrasen durchaus nachdenkenswerte Appelle ans Ethos und Verantwortung zweier Berufsgruppen adressiert werden. Denn wenn eine Vielzahl der Befragten eine fehlende Repräsentation (in der Politik: für die Probleme der Menschen und deren Lösung, in den Medien: für als wichtig erachtete Themen) oder eine fehlende Nahbarkeit „weit weg“ agierender Abgeordneter bemängelt, scheint da etwas dran zu sein. Dasselbe gilt für zu wenig kritische, dafür aber zunehmend sensationell-kommerzielle und eher linksliberal gefärbte Berichterstattung etablierter Medien, die für ihre Schlagzeilen auf ein gutes Verhältnis mit Volksvertretern angewiesen sind.
Von November 2021 bis Mai 2023 wurden 61 Leitfadengespräche (ohne Antwortvorgaben) mit anschließendem Standard-Fragebogen geführt, weswegen vor allem die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine die bestimmenden Themen in der öffentlichen Debatte waren. Für die Rekrutierung und das Führen der Interviews der von der Universität Leipzig initiierten Studie war Kommunikationswissenschaftlerin Judith Kretzschmar zuständig, selbst in Erfurt geboren und in der ehemaligen DDR sozialisiert. (Die Codierung der anonymisiert eingeflossenen Antworten und Auswertung folgte gemeinschaftlich.) Hier gab es bereits erste Probleme: Über Institutionen wie Volkshochschulen, Kirchgemeinden, Bürgerinitiativen etc. gelangte sie nur an ein überdurchschnittlich politisch interessiertes und überdurchschnittlich gebildetes Publikum, das Thesen rund um „Lügenpresse“ weitgehend ablehnte. Die Tendenz war jedoch klar erkennbar: Das Vertrauen in die Politik nahm mit ihrer zunehmenden geografischen Entfernung von Kommunal- zu Landes- über Bundes- bis hin zu EU-Ebene signifikant ab. Im Kern stellt das Forscherteam aber auch heraus: Viele der nach der Wiedervereinigung enttäuschten Befragten verlangten von einer anpackenden und sich auch in Meinungen austauschenden Politik „zu liefern“, sehen sich aber nicht in der Verantwortung, selbst politisch aktiv zu werden, was oftmals auf Ohnmachterfahrungen in der DDR zurückzuführen ist. VON LÜGENPRESSE UND ABGEHOBENEN ELITEN: JOURNALISMUS- UND DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS IN SACHSEN regt damit auf allen Seiten zum Nachdenken an.
Der Inhalt des Buches ist hier kostenfrei als PDF abrufbar. Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse findet sich von Seite 259-283.
LUTZ GRANERT
Titel: VON LÜGENPRESSE UND ABGEHOBENEN ELITEN: JOURNALISMUS- UND DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS IN SACHSEN
Autoren: Juditz Kretzschmar, Markus Beiler, Uwe Krüger, Florian Döring
Verlag: Transcript
Erscheinungsform & Seitenzahl: Paperback, 330 Seiten
Verkaufsstart: veröffentlicht
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