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Klimawandel: Alles wird (noch) gut, drohende Apokalypse oder Held(inn)engeschichten?

Ein Ratgeber für Journalist(inn)en, der das Lesen lohnt: Im oekom-Verlag ist ein anregendes Sachbuch zum Erzählen über ökologische Themen erschienen.

Ein szenischer Einstieg, eine positive Identifikationsfigur, eine spannende Dramaturgie und eine (Auf-)Lösung: Das sind Bestandteile einer guten journalistischen Story – oder nicht? Diese Struktur ist besonders für ökologisches Erzählen kontraproduktiv, so die österreichische Journalistin Patricia McAllister-Käfer. Denn Held(inn)engeschichten von einzelnen Akteuren oder auch dystopische Ausblicke auf eine künftig immer stärker beschädigte Welt ermutigen die Menschen nicht, sich gegen den Klimawandel zu engagieren oder sie für seine Facetten zu sensibilisieren. Das stellt sie in ihrem Sachbuch NUR HELDEN WERDEN UNS NICHT RETTEN klar heraus, das vielfältig und erfrischend zum Überdenken „narrativnaiver“ Zugänge anregt.


Das ist etwa im Disney-Film „Encanto“ (2021) geschehen, so die Wiener Autorin. Mit dem Mädchen Mirabel begibt sich eine wahrliche Anti-Heldin auf die oftmals beschriebene „Held(inn)enreise“, in der sie aber nicht sich selbst verändert, sondern einen Bewusstseinswandel einer großen Gemeinschaft bewirkt; die Inperfektion der Familie Madrigal wird offen thematisiert und nicht glattgebügelt, ein Happy End sucht man vergebens. McAllister-Käfer regt Journalist(inn)en dazu an, eigene Vorstellungen von der Entwicklung ihrer Geschichte oder von Vornherein feststehenden Botschaften über Bord zu werfen, ergebnisoffen an diese heranzugehen und kritischen Stimmen Raum zu geben (Bottom-Up-Methode, Seite 75f.). Es gilt, Irritationen zuzulassen, die nicht ins (eigene) Framing passen. Damit wird einem „storyselling“ vorgebeugt, bei dem Journalist(inn)en dazu neigen, ihre Geschichten zu inszenieren und sich die Wahrheit etwa durchs Weglassen von Details "zurechtzubiegen". Auch die Perspektive sei entscheidend: So kann es durchaus spannend sein, eben nicht aus Sicht eines arrivierten Europäers zu erzählen, sondern zurückzutreten und auch anderen Akteuren eine Stimme zu verleihen – wie etwa Bibern, welche beim Renaturieren von begradigten Flüssen einen enorm wichtigen Beitrag leisten, auch wenn ihr Wirken zunächst chaotisch anmutet. 

Nicht alle Überlegungen und Verweise von Patricia McAllister-Käfer verfangen, einige wie ein „partizipatives Storytelling“ (inklusiv etwa gemeinsam mit Behinderten) sind sicherlich keine massentauglichen Modelle – und hin und wieder schimmert auch etwas Redundanz in ihrer Argumentation durch. Aber: Das Sachbuch bietet viele Anregungen, wie Journalist(inn)en sich selbst und ihre Arbeitsweise hinterfragen können und auch sollten – und diese Verletzlichkeit beim Schreiben offenzulegen wäre tatsächlich eine gute, lebensnahe Story.

LUTZ GRANERT

Titel: NUR HELDEN WERDEN UNS NICHT RETTEN: ÜBER JOURNALISTISCHES SCHREIBEN IN UNGEWISSEN ZEITEN 
Autorin: Patricia McAllister-Käfer
Verlag: oekom
Seitenzahl: 174

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