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Sachbuch-Tipp: GIFT UND WAHRHEIT

Ein aufgearbeitetet Unrechtsprozess: GIFT UND WAHRHEIT vom Filmemacher Alexander Schiebel kritisiert intensive Landwirtschaft in Südtirol.

Es gibt ein wirksames Mittel, wie mächtige Konzerne oder Lobby-Verbände kritische Berichterstattung unterbinden können. Sogenannte SLAPP-Verfahren (Abkürzung für Strategic Lawsuit Against Public Participation) haben zwar keinerlei Aussicht auf Erfolg. Sie geraten aber so teuer und langwierig, dass die Angeklagten – meist: investigative Journalisten – durch horrende Prozesskosten quasi zum Schweigen gebracht werden, sofern sie keine ebenfalls finanzstarke Rechtsabteilung in der Hinterhand haben. Kein Einzelphänomen, wie auch Jan Böhmermann in einer Sendung des ZDF Magazin kürzlich unter dem Stichwort „Cancel Culture“ herausfand.

Der österreichische Filmemacher Alexander Schiebel arbeitet in GIFT UND WAHRHEIT seine eigenen Erfahrungen mit einem solchen SLAPP-Verfahren auf, als sich 1.372 Obstbauern aus Südtirol zusammentaten und Strafanzeige gegen ihn erstatteten wegen vermeintlicher Verleumdung. In seinem Buch „Das Wunder von Mals“ (ebenfalls im oekom Verlag erschienen) berichtete Schiebel vom Widerstand eines kleinen Dorfes gegen den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft. Denn im Vinschgau in Südtirol dominiere eine mächtige „Südtiroler Apfellobby“, welche den Einsatz dieser die Biosphäre zerstörender Substanzen für einen möglichst hohen Ertrag in der Landwirtschaft einsetze. Die Fruchtbarkeit der Böden, die Qualität der Luft (in der Passivsammler Pestizidrückstände nachwiesen) und die biologische Vielfalt leiden darunter, wie er mit Unterstützung des Umweltinstituts München wissenschaftlich belegbar herausfand, so dass Schiebel dieses Verhalten als „vorsätzliches Ignorieren von Fakten mit Todesfolge“ bezeichnete. Als „Diffamierung“ ein Straftatbestand? Sicher nicht. Oder doch?


Alexander Schiebels Dokumentation „Das Wunder von Mals“ ist bei YouTube frei abrufbar.

Von Herbst 2017 bis Herbst 2021 zogen sich die Prozesse in Bozen gegen Alexander Schiebel und das Umweltinstitut München hin, bis sie schließlich eingestellt wurden. Alexander Schiebel arbeitet den zeitlichen Ablauf dazwischen in GIFT UND WAHRHEIT in all seinen Absurditäten wie dem fragwürdigen Zick-zack-Kurs der Südtiroler Apfelwirtschaft (Klage, Rückzug, doch wieder Klage) auf. Dabei unterfüttert er sein Sachbuch mit einem Exkurs zu den verheerenden Folgen des Pestizideinsatzes in der Landwirtschaft (und falschen Aussagen der Agrochemiekonzerne), geltendem EU-Recht oder ganz praktisch wie man SLAPP-Verfahren wirksam entgegen treten kann (Seite 156). Auch ein eigenes kulturpessimistisches Kapitel rund um den Exodus utilitaristischer Ideen („Die Welt am Abgrund“) ist zu finden, welches jedoch mit seiner populistisch-subjektiven Ausrichtung nicht so recht zum faktenreich-informativen Ansatz passen will. Dieser Schwachstelle zum Trotz: GIFT UND WAHRHEIT ist ein wichtiges Buch, denn es schildert die Wirkmächtigkeit der Agrar- und Agrochemiekonzerne ebenso wie die furchteinflößenden Folgen des Handels profitorientierter Industrie mit Auswirkungen auf den Klimawandel.  

LUTZ GRANERT

Titel: GIFT UND WAHRHEIT – WIE KONZERNE UND POLITIK IHRE MACHT MISSBRAUCHEN, UM UMWELTAKTIVIST:INNEN MUNDTOTOT ZU MACHEN
Verlag: oekom 
Autor: Alexander Schiebel
Seitenzahl: 208

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