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Comicstadt Hypezig?

Berlin ist als Kultur- und Comiczentrum seit Jahren eine feste Größe. Leipzig – gerne ja als das „neue Berlin“ bezeichnet – zieht mittlerweile mit kleinen, aber feinen Verlagen sowie einer reichen Zeichnerszene nach.

Leipzig boomt: Das Zentrum des mitteldeutschen Ländertrios hat in den letzten Jahren nicht nur einen rasanten Bevölkerungszuwachs verzeichnet, sondern gleichsam unzählige Kreative, Künstler und solche, die sich dafür halten, angezogen. Auch die Zahlen zur Comic-Sektion der Leipziger Buchmesse, die als „Manga Comic Con“ seit 2014 im Verbund mit der „großen“ Verlagsschau stattfindet, sprechen eine deutliche Sprache: Von 31.000 Besuchern im ersten Jahr hat man sich im Jahr 2017 mehr als verdreifacht; auch die Aussteller- zahlen wachsen beachtlich, auf zuletzt etwa 300 – dazu kommen dann freilich noch die Comic-Labels, die auf der „regulären“ Buchmesse vertreten sind.

Zeitgleich findet seit mehreren Jahren das alternative Comic- und Graphics-Festival The Millionaires Club in Leipzig statt, das die gebürtige Leipzigerin Anna Haifisch mit sechs Freunden im Jahr 2013 gründete. Haifisch studierte Illustration an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, ebenso wie Max Baitinger, Mitinitiator des Millionaires Club. Beide sind mittlerweile preisgekrönte Comic-Zeichner und über die Stadt hinaus bekannt (zu Anna Haifischs aktueller Veröffentlichung „The Artist“, erschienen bei Reprodukt, siehe Seite 33 in diesem Heft).

Ebenfalls Teil des The Millionaires Club-Teams ist der aus Florida stammende James Turek, den es vor mittlerweile über sieben Jahren nach Leipzig verschlagen hat. „Wir befinden uns mitten in der Renaissance des deutschen Comics“, sagt der US-Amerikaner. Vielleicht legte Turek deshalb zuletzt auch sein Graphic-Novel-Debüt auf Deutsch vor:
„Motel Shangri-La“, erschienen im Berliner Avant-Verlag, bietet ein verrückt-humoreskes Roadmovie mit Wild-West-Atmosphäre, in dem die schicksalhafte Verkettung der Umstände eine bunte Gruppe von Protagonisten – darunter ein Laienprediger, ein entflohener Häftling und ein tiefenentspannter Sheriff – in dem namensgebenden Motel im Nirgendwo zusammenführt. Auch James Turek hat längst über die Grenzen Leipzigs hinaus Aufmerksamkeit erregt; Deutschlandradio und Tagesspiegel widmeten „Motel Shangri-La“ ausführliche Besprechungen. Über ähnlich große Resonanz konnte sich der Leipziger Illustrator Robert Deutsch freuen, dessen Comic über den britischen Mathematiker und Computer-Pionier Alan Turing („Turing“, ebenfalls bei Avant erschienen) das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung dazu veranlasste, ihn als einen „der besten deutschen Comic-Zeichner“ vorzustellen. Die Graphic Novel hat ihre Anfänge in Deutschs Abschlussarbeit an der renommierten Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale, der Nachbarstadt Leipzigs. Neben seiner frei- beruflichen Arbeit als Grafikdesigner und Illustrator für verschiedene Magazine kam er immer wieder auf das überaus rechercheaufwändige Projekt „Turing“ zurück.

Vielleicht liegt es an seiner regionalen Verwurzelung, dass auch die Leipziger Volkszeitung und andere lokale Medien über sein Comic-Debüt berichteten. Robert, der sich selbst überrascht über die Resonanz zeigt, kennt auch die Comic-Szene Leipzigs: „Es existieren verschiedene Richtungen, die sich um sich sammeln; es gibt verschiedene Stammtische von Kreativen und Comic-Zeichnern. Aber man arbeitet auf keinen Fall gegeneinander.“ Auch wenn viele der in Leipzig ansässigen Zeichner mittlerweile bei Verlagen jenseits der Messestadt eine Heimat gefunden haben, sind auch die kleinen, aber feinen Comic-Verlage Leipzigs einen Blick wert: Eine Adresse für Freunde klassischer Reihen etwa aus Frankreich oder Belgien ist seit mehreren Jahren comicplus+, wo Gesamtausgaben von Jean-Charles Kraehns „Tramp“-Zyklus, der Familiensaga „Hopfen und Malz“ oder aktuell der erste von vier Bänden zu „Agent Alpha“ (siehe Seite 35) erscheinen. Seit 2005 veröffentlicht der Verlag außerdem mit der jährlich fortgeführten Reihe „Deutsche Comicforschung“, herausgegeben von Verle- ger Eckart Sackmann, ein Standardwerk zur Erforschung der Kunstgattung.

Deutlich jünger ist der in Leipzig ansässige Verlag „Kult Comics“, entstanden aus dem deutschlandweit bekannten Comic-Vertrieb Comic Combo, der seit bereits 20 Jahren nicht nur Leipziger Comic-Fans mit einer riesigen Auswahl an Heften und Alben versorgt und sogar die Titel des holländischen Verlagshauses ERKO exklusiv in Deutschland vertreibt. Um auch weitere Reihen für deutsche Comic-Fans zu erschließen, gründete Comic Combo-Vertriebsleiter Sebastian Röpke zusammen mit Michael Beck das Label Kult Comics, das unter anderem die Gesamtausgabe von „Tony Stark“ und „Detektei Hardy“ (siehe multimania Nr. 61 und 63) veröffentlicht.

FRANK KALTOFEN