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70 Jahre Wandel: EIN GANZES LEBEN erscheint im Heimkino

Realistische Alltagsschilderungen durchsetzt mit leisem Humor; knappe Sätze, reich an Bildern: So lässt sich der Schreibstil des aus einer Arbeiterfamilie stammenden Österreichers Robert Seethaler am einfachsten zusammenfassen. Kein Wunder, dass sein Roman „Ein ganzes Leben“ im Titel wie im Inhalt das große Ganze umfasst. Auf gerade einmal 160 Seiten erzählt er von einem unfassbar genügsamen Mann, der bei all seinen Entbehrungen zwischen Kindheit und Tod sein abgelegenes, liebgewonnenes Tal in den österreichischen Alpen nur einmal im Zweiten Weltkrieg verlässt. 

Die Filmadaption stand also vor einer großen Herausforderung: Wie können Sprach- in große Leinwandbilder übersetzt werden? Hans Steinbichler (er inszenierte mehrere Folgen der Sky-Serie „Das Boot“) ist das in EIN GANZES LEBEN mit zahlreichen, Sehnsucht erzeugenden Alpenpanoramen gelungen – auch wenn die Schattenseiten urtümlicher (Natur-)Romantik stets greifbar bleiben. Andreas Egger (dargestellt zunächst von Ivan Gustafik) wächst bei seinem despotischen Onkel auf, der ihn für kleinste Vergehen verprügelt. Einmal so hart, dass sein Bein bricht – welches ihn ein Leben lang humpeln lässt. Zum jungen Mann gereift (Stefan Gorski) zieht er zusammen mit Marie (Julia Franz Richter) in eine bescheidene Almhütte und ackert knochenhart beim Bau einer Seilbahn im Tal. Doch die (einzige) Liebe seines Lebens stirbt verschüttet von jener Lawine, die Andreas beide Beine bricht. 



In der Bibel erlebt Hiob ähnlich viele Schicksalsschläge, doch sein Gottesglaube bleibt bestehen – während Andreas Egger nichts von Religion hält und ihn sein Leben in Bescheidenheit und Einsamkeit erfüllt hat. Auf das blickt Andreas Egger (nun als alter Mann: August Zirner) nach vielen beiläufigen Zeitsprüngen, wenn Reichskriegsflaggen im Bild auftauchen oder die Mondlandung im Fernsehen übertragen wird, am Ende des Films mit zu Tränen rührender Genügsamkeit und ohne Groll zurück. Vertrauter ist dem Publikum dieser verschlossene, aber irgendwie sympathische Einzelgänger jedoch auch nach zwei Stunden Filmlaufzeit nicht geworden. In vielen Dramen wäre das ein Manko, hier ist das kein Problem, weil der Film durchs Mysterium seiner Hauptfigur deutungsoffen bleibt. Kleine Schwächen wie eine zuweilen etwas sehr dick aufgetragene Filmmusik und der merkwürdig zusammengeklaubte österreichische Akzent fallen dabei kaum negativ ins Gewicht.   

Tobis veröffentlicht EIN GANZES LEBEN mit vielen kleinen Extras. Das längste davon ist eine (wie meist) wenig aufschlussreiche B-Roll mit Aufnahmen vom Dreh, dazu gibt es kurze Interviews mit Cast und Crew. Das Making-Of kratzt bei einer Länge von knapp 5 Minuten und deutlicher PR-Färbung auch nur an der Oberfläche – gern hätten wir in mehr als 20 Sekunden etwas zum Szenenbild gesehen, welches sämtliche Spuren der Moderne aus einem kleinen Alpendorf tilgen musste.

LUTZ GRANERT

Titel: EIN GANZES LEBEN
Label: Tobis (LEONINE)
Land/Jahr: Österreich/Deutschland 2023
FSK & Laufzeit: ab 12, ca. 115 Min.
Verkaufsstart: 15. März

KINOSTART: LUZIFER

Als „religiöser Alm-Horror“ wird LUZIFER in der Pressemitteilung angepriesen. Schlicht irreführende PR: Die am 28. April im Kino startende, sperrige Produktion von Ulrich Seidl („Paradies: Liebe“) verwehrt sich jeder Schublade.