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2148: Längst sah sich der Mensch dazu gezwungen, seine Heimat, die Erde, zu verlassen, um sich ungehindert im Sonnensystem auszubreiten. Terraforming hat es den Menschen zudem erlaubt, Mond und Mars zu kolonialisieren, wobei gerade Ressourcen-Gewinnung zum Hauptbestandteil menschlicher Bestrebungen avanciert ist. Die Ordnung wird dabei durch ausgelagerte Regierungsorgane aufrechterhalten, die den Ausbreitungsdrang des Menschen in geregelte Bahnen zu lenken versuchen. Während eines normalen Kontrollflugs auf dem Mars stößt die Crew um den Cyberhistoriker Oren Chitru auf ein Objekt inmitten eines Bergmassivs, das sich bei genauerer Untersuchung als ein Raumschiff unbekannten Ursprungs erweist. Eine geplante Bergungsaktion gerät zum Fiasko und endet für einige der Crewmitglieder tödlich.

2302: Der Expansionsdrang der Menschheit bleibt ungebrochen. Nicht einmal 150 Jahre zurückliegend, wurde ein Plan zur Kolonialisierung eines fremden Planeten ersonnen. Drei Schiffe wurden gebaut, um der Menschheit in einem bisher unbekannten Sonnensystem, in der Nähe des Luytens-Sterns, eine neue Heimat zu geben. Ein jedes dieser Schiffe beherbergt eine eigene Kultur und damit verbunden eigene politische, ökonomische wie auch gesellschaftliche Ziele: das silberne Weltenschiff des Mondes, die Tereschkowa, das goldene der Erde, die Zheng He, und das rote des Mars, die Venta Chitru. Die Nationen verbindet nichts mehr, bis auf den Drang, zu den Besten zu gehören und sich von der neuen Welt die größten Teile zu sichern. Auf dem Weg zu ihrem neuen Heimatplaneten treffen die Crews der Weltenschiffe auf ein unbekanntes Raumschiff. Jede der Nationen drängt nun darauf, die vorhandene Technologie für sich zu nutzen. Einmal mehr droht die Bergung zu einem Fiasko zu werden, was wiederum katastrophale Folgen für die Kolonialisierungspläne haben wird.

Das Autorenkollektiv, bestehend aus den Brüdern Tom und Stephan Orgel, zeichnet mit seinem neuesten Science-Fiction-Roman BEHEMOTH ein düsteres Zukunftsbild. Müsste man den Romanstoff mit bekannten Storys vergleichen, könnte man das Setting irgendwo zwischen Ridley Scotts „Alien“ (ab 1979) und „Event Horizon“ (1997) ansiedeln. Die in Görlitz geborenen Brüder begannen ihre Karriere im Fantasy-Genre, wobei die „Orks vs. Zwerge“-Reihe, die ebenfalls bei Heyne zwischen 2012 und 2014 erschienen ist, zu ihren bisher größten Erfolgen zählte. Mit dem 2018 verlegten Roman „Terra“ ließ das Autorenduo aber bereits anklingen, dass es sich auch im Science-Fiction-Genre heimisch fühlt.

Dem Leser wird schon nach wenigen Seiten klar, weshalb der Roman den Titel BEHEMOTH trägt: Behemoth das Monster aus der alten Welt, mit magischen Eigenschaften versehen und durchaus tödlich. Der Leser folgt dieser Bedrohung, die zunächst unterschwellig und im Verlauf immer deutlicher in Erscheinung tritt, durch mehrere Handlungsstränge hindurch, die jeweils aus der Perspektive einzelner Crewmitglieder der Weltenschiffe erzählt werden. Hierbei erhält der Leser einen genaueren Einblick in die kulturellen Gepflogenheiten, aber auch politischen Ziele der Nationen.

So wird die Besatzung des Weltenschiffes Zheng He als harsch und mitunter unmenschlich beschrieben, was wiederum durch den Beinamen „Drachennation“ unterstrichen wird. Demgegenüber erscheinen die Mitglieder der Tereschkowa eigentümlich rückständig. Parallel dazu spielt BEHEMOTH in zwei unterschiedlichen Zeitebenen, die sich erst im Verlauf der Story zusammenfügen und dem Leser wichtige Hintergrundinformationen dazu liefern, welche Pläne mit der Entsendung der Weltenschiffe ursprünglich verbunden waren, und klar erkennen lassen, dass die Besatzungen quasi blindlings dem Ruf in Richtung Sterne folgten: eine Naivität, die sich noch rächen wird.

BEHEMOTH ist ein bemerkenswerter Roman, was sich einerseits mit der cleveren Geschichte erklären lässt, aber vor allem der bildlichen Erzählstruktur und Sprache zu verdanken ist. Auf den ersten Seiten wird dem Leser dabei bereits deutlich vor Augen geführt, dass er es mit einer komplexen Story zu tun hat. Zunächst scheinen die Charaktere zahlreich und unübersichtlich, was sich im Verlauf weniger Kapitel schnell aufklärt. Hervorzuheben ist die kritische Dimension, die BEHEMOTH aufweist und die zwangsweise Parallelen zum gegenwärtigen System verdeutlicht. Mittels des unterschwelligen und später immer deutlicher in Erscheinung tretenden Konflikts der Nationen hält das Autorenduo dem Leser den Spiegel vor. Insofern ist der Roman nicht nur unfassbar spannend, sondern gibt dem Leser auch wichtigen Input, der über die Story hinausreicht. Sehr gelungen.

 

ISABELL SCHLOTT

 

Titel: BEHEMOTH

Autor: T.S. Orgel

Seiten: 576

Verlag: Heyne