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Steampunk steht unter Strom

 

Nikola Tesla ist so etwas wie eine Jesus-Figur für Physik-Nerds. Nicht einmal 100 Jahre sind seit seinem Tod vergangen, und um sein Leben ranken sich Mythen, die von der Popkultur zahlreich befeuert werden. Dazu zählt jetzt als neuester Eintrag Richard Marazanos und Guilhem Becs Comic DIE DREI GEISTER VON TESLA, der auf Deutsch im Splitter Verlag erscheint.

 

Tesla, Erfinder des Wechselstroms. Klingt zunächst langweiliger als der Erfinder des Fernsehers (umstritten, aber hauptsächlich John Logie Baird) oder der Erfinder des Smartphones (noch umstrittener, aber die meisten würden Steve Jobs antworten). Dabei würden beide Geräte nicht funktionieren ohne Tesla – Wechselstrom ist der Blutkreislauf des globalen Zeitalters. Wie fundamental Teslas Entwicklung war, das zeigt sich vor allem an seiner gut dokumentierten Fehde mit Thomas Edison, der mit Gleichstrom viel Geld verdiente und vor laufenden Kameras einen Elefanten mit Wechselstrom umbrachte, um dessen angeblichen Gefahren zu zeigen.

Viele attestieren Nikola Tesla einen so brillanten Erfindergeist, dass ihrer Meinung nach moderne Technologien wie das Internet oder GPS Jahrzehnte früher nutzbar gewesen wären, hätte Tesla nur genug Gönner gefunden und wäre sein Labor 1895 nicht mitsamt allen Aufzeichnungen niedergebrannt. Die Legendenbildung um den in Serbien geborenen Ingenieur und Wissenschaftler ist also immens. Am bekanntesten ist wohl David Bowies großartiges Schauspiel als Tesla in Christopher Nolans “The Prestige”. Abseits der Filmwelt leben die Sagen um Tesla aber auch in Comics fort: Der erste Band von DIE DREI GEISTER VON TESLA spinnt eine Geschichte mit viel Mystery, Historie, Abenteuerlust und Steampunk.

Der junge Travis zieht mit seiner Mutter im Jahr 1942 nach New York, um nach dem Tod seines im Krieg gefallenen Vaters von vorne anzufangen. Travis ist fasziniert von der Wissenschaft (Neeeeerd!) und von seinem neuen Nachbarn, einem mysteriösen, alten Mann, vor dem die Kinder aus der Nachbarschaft einigen Bammel haben. Als er dem Nachbarn eines Nachts folgt, entdeckt er dunkle und rätselhafte Ereignisse: Lichter unter dem East River, Männer in Tauchanzügen (die nicht nur zufällig an die Big Daddies aus “Bioshock” erinnern) und mannshohe Spinnenroboter. Travis’ Nachbar (sein Name, Kaolin Slate, ist anscheinend ein Pseudonym, auf das nur ein brillanter Wissenschaftler kommen könnte…) hat also einige ganz verschwörerische Geheimnisse, und die haben nicht zufällig mit den absurd riesigen Zeppelinen zu tun, die plötzlich über New York schweben. Zu den weiteren Spielern in diesem Versteckspiel gehören ein Journalist, der eine Mordserie am East River aufzuklären versucht, und ein FBI-Agent, der sich ebenfalls auf die Suche nach dem Täter macht.

Autor Marazano und Zeichner Guilhem bedienen sich einer modernen Legende, um ihre Erzählung in einen historischen Hintergrund zu stricken. Das New York der 1940er bauen sie dabei kompetent: Zeitungsjungen berichten von den Soldaten an der Front, Architektur und Kleidung sind zeitgenössisch perfekt eingefangen. Die Sepiatöne der Zeichnungen helfen nicht nur der Atmosphäre des Vergangenen, sondern auch der Steampunk-Ästhetik, die immer wieder durch die realistische Fassade bricht. Guilhem Bec, der Bruder von Splitters Star-Autor Christophe Bec (zuletzt gefeiert für seine Science-Fiction-Epen “Eternum” und “Olympus Mons”) steht seiner Verwandtschaft in Sachen Genre-Verdichtung in nichts nach. Die Handlung ist hingegen ist zwar durchaus vorhersehbar – die geneigten Leser werden sicherlich schnell erraten, warum Travis und seine frisch verwitwete Mutter einen gutaussehenden FBI-Agenten kennenlernen, der in die mysteriösen Begebenheiten verstrickt ist – aber dafür flott erzählt und macht aus den meisten offensichtlichen “Wendungen” keine allzu große Sache.

Immerhin sollte bei einem Comic mit “Tesla” im Titel klar sein, welche wahre Identität hinter dem geheimnisvollen alten Nachbar steckt. Kleinere Abstriche bei einem schön designten Comic, der den Steampunk zurückfährt, um die Stadt New York und die 40er in den Fokus zu stellen. Eine schöne Abwechslung, und wenn dann der Tech-Wahn auf 11 gedreht wird, ist das umso aufregender. DIE DREI GEISTER VON TESLA wurde im Heimatland Frankreich bereits auf dem Comic-Festival in Angoulême gefeiert, seine ersehnte Fortsetzung lässt aber auf sich warten – bisher ist sie im Original noch nicht erschienen.

 

OLIVER MOISICH

 

Produkt-Info:
Titel: DIE DREI GEISTER VON TESLA „Das ŝtokavische Geheimnis“ (Band 1)

Autor/Zeichner: Richard Marazano, Guilhem

Verlag: Splitter

Erscheinungsform/Seitenzahl: Hardcover, 48 Seiten

Verkaufsstart: veröffentlicht