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Rückzug und Aufbruch

In der japanischen Gesellschaft nimmt das Problem der sozialen Isolation zu. Immer mehr Japaner ziehen sich in ihre eigenen vier Wände zurück. Sie meiden die Außenwelt. OMORI erzählt die Geschichte eines solchen Menschen. 

OMORI ist ursprünglich ein Indie-Rollenspiel aus dem Hause OMOCAT. Das Spiel erschien erstmals am 25. Dezember 2020 für PCs, Nintendo Switch, Xbox und PlayStation 4. Seit Juni 2024 ist die Manga-Adaption erhältlich, die das Geschehen des Spiels aufgreift.

Der Manga erzählt die Geschichte von Sunny, einem Jungen, der sich stark zurückgezogen hat. Er verbringt seine Zeit meist in seinem Zimmer und vermeidet den Kontakt zur Außenwelt.

Sunny entspricht in dieser Hinsicht dem klassischen Bild eines „Hikikomori“. Der Titel des Spiels und des Mangas OMORI lehnt sich daher an den Begriff an. Eine vollständige oder nahezu vollständige Abkapselung von der Außenwelt ist typisch für Hikikomori. Oft haben sie nur minimalen Kontakt zur Familie. Die Ursachen sind vielfältig und können sowohl kulturelle als auch individuelle Faktoren umfassen. Dazu gehören sozialer Druck, Angst vor Leistungsversagen, soziale Ängste, Schwierigkeiten, sich in die Gesellschaft einzufügen, oder auch eine starke emotionale Abhängigkeit von den Eltern.

Der Grund für Sunny ist ein tragisches Ereignis, bei dem seine Freundin Mari ums Leben kam. Seine Mutter beschließt, dass ein Umzug in eine andere Stadt nötig ist, um ihrem Sohn einen Neuanfang zu ermöglichen. Kurz vor dem Umzug kommt es jedoch zu einer Begegnung mit alten Freunden, die alte Wunden aufreißt – Sunny muss erkennen, dass manch ein Weg zur Heilung nur dann funktioniert, wenn man sich der Vergangenheit stellt.

OMORI beschäftigt sich auf intensive Weise mit den psychologischen Auswirkungen von traumatischen Erlebnissen und der Verarbeitung von Traumata, die daraus resultieren. Die Geschichte spielt in der realen Welt und in der Fantasiewelt des Protagonisten. Diese Fantasiewelt hat der Protagonist selbst geschaffen, um besser mit der Realität klarzukommen.

Der Manga zeigt, dass es für Hikikomori keine einheitliche Therapie gibt. Der Prozess, aus der Isolation zurückzukehren, ist schwierig, aber nicht unmöglich. Freundschaft, Familie aber auch Selbstfindung sind die Schlüsselelemente, die in OMORI eine feste Bedeutung bei der Traumabewältigung erhalten.

Eine Studie in Schwarz

Obwohl OMORI psychologisch und therapeutisch sehr raffiniert ist, wird es dem Horror-Genre zugeordnet. Entsprechend düster sind die Bilder. Künstlerin Nui Konoito nutzte alles, um OMORI düster, spannend und doch an manchen Stellen lustig zu gestalten, was ihr auch gelingt. So stellt sie manche witzige Szene – die es tatsächlich auch gibt – mit übertriebenen, typischen Manga-Gesichtsausdrücken dar.

Ihre Federführung zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Sanftheit und Dynamik aus, wobei sie eine chaotische Anmutung aufweist, ohne dabei undurchsichtig zu wirken. Große Panels zeigen ganze Szenen, die einschüchtern und allumfassend sind. Das Werk kommt mit wenig Schatten und Rasterfolie aus.

Die grotesken Monster, die in Sunnys Gedankenwelt umherschwirren, sind nicht weniger verwirrend als die schnellen Wechsel der Szenerien – die Verwirrung gehört aber fast schon zum guten Ton des Horror-Genres.

Die Geschichte präsentiert sich in einer minimalistischen Textgestaltung und manifestiert sich stattdessen in expressiven Bildern. Die Buchstaben verkörpern stattdessen Psyche, Emotionen und Empfindungen, sie offerieren Raum für Reflexion und die Ergründung der Gesamtheit, wenn sie in Erscheinung treten. Bild und Schrift.

OMORI ist ein Manga, der das Thema Trauma aufgreift, dabei aber einen sehr nachdenklichen Umgang findet, ohne seinem definierten Genre untreu zu werden. Eine klare Leseempfehlung für alle Fans.

LILI SCHMIRGAL

 

Titel: OMORI 
Autor: Omocat/Nui Konoito
Seiten: 208
Bände: 2+
Datum Ersterscheinung: 16.06.2025