Weltreise einer deutschen Rennfahrerin
Neue Review: Der frankobelgische Comic SIGI - 1. OPERATION BRÜNNHILD liegt bei Schreiber & Leser auf Deutsch vor.
Als Autorennfahrerin kann sie im Deutschland in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre bereits einige Erfolge verbuchen. Doch nach einem folgenschweren Unfall eines Konkurrenten wird Sigrid „Sigi“ Hassler – die einzige Frau – durch den ADAC vom Motorsport ausgeschlossen. Die toughe und jungfräuliche Dame sucht nach einer neuen Herausforderung – und einen Förderer. So darf sie auf Kosten des sinistren Industriellen Gottfried Geyer mit einem Vogel-Adler 6 und begleitet vom jüdischen Mechaniker Werner Durchgang sowie dem schwedischen Fotografen Sven Lindahl zu einer Weltreise am Steuer eines Autos aufbrechen. Mit der Ankunft in den USA häufen sich die Probleme – die Sigi und Sven im immer noch Wilden Westen nach der Verwechslung mit einem Gangsterpärchen bis an den Galgen führen…
Der französische Comickünstler Erik Arnoux begann seine Karriere bei einem Comic-Motorradmagazin, bevor er mit dem spanischen Zeichner David Morancho erstmals an der in den 1960er Jahren angesiedelten Krimi-Reihe „Sara Lone“ (erschienen im All Verlag) zusammenarbeitete. Nun liegt mit SIGI – 1. OPERATION BRÜNNHILD der erste Band einer weiteren, auf vier Bände angelegten Kooperation im Verlag Schreiber & Leser auf Deutsch vor, dessen Hardcover-Album für die allseits genormte Handelskompatibilität (Präsentation der Bände und Regalgrößen) in Breite und Höhe um je 2 cm kleiner ist als die originale französische Veröffentlichung. Die ästhetisch etwas unschöne Folge ist, dass einige aus den Panels herausragende Sprechblasen und Textkästen arg weit an den (beschnittenen) Seitenrand oder den Mittelfalz gerückt sind.
Wer sich daran nicht stört, bekommt in frankobelgischer Tradition ein Comic-Abenteuer geboten, welches seine Inspiration aus der Biografie der realen deutschen Rennfahrerin namens Clärenore Stinnes (1901-1990) zog, die am 25. Mai 1927 zu einer Auto-Weltreise aufbrach. Ein klarer Strich mit feinen Linien, die besonders in den zahlreichen Wüstenlandschaften des Mittleren Westens der USA und bei den ausdrucksstarken Charakteren zur Geltung kommen, dominieren die Zeichnungen voll gedeckter, leicht milchig anmutenden Farben, die beiläufig alarmierendes Zeitkolorit einstreuen. Krakeelnde SA-Schergen fahren Sigi und Freundin Hanna auf dem Nachhauseweg fast um, ein Band von Hitlers „Mein Kampf“ liegt bei Gottfried Geyer auf dem Nachttisch, Arbeitslose mit Umhängetafeln suchen während der Weltwirtschaftskrise in den USA nach Jobs. Ganz nebenbei werden auch topaktuelle Themen verhandelt: Gleichberechtigung und Selbstbestimmung von Frauen in Männerdomänen – wobei subtil auch moderne, alternative Lebensentwürfe durchblitzen, die in den Folgebänden vermutlich weiter vertieft werden.
Arnoux‘ Szenario gerät immer wieder überraschend: Er baut Spannung auf und spielt – besonders zum Finale – mit der Erwartungshaltung der Leserschaft, bevor diese nach dem Umblättern doch unterlaufen wird. SIGI – 1. OPERATION BRÜNNHILD ist der ebenso temporeiche wie wendungsreiche Auftakt zu einem vielschichtigen, historischen Comic-Abenteuer.
LUTZ GRANERT
Titel: SIGI – 1. OPERATION BRÜNNHILD
Autor/Zeichnungen: Eric Arnoux, David Morancho
Verlag: Schreiber & Leser
Erscheinungsform/Seitenzahl: Hardcover, 64 Seiten
Verkaufsstart: veröffentlicht