Die Schweizer Autorin Luzia Pfyl gehört zu den neuen Stars der deutschsprachigen Fantasy-Literatur. Mit ihrer Steampunk-Reihe FROST & PAYNE sorgt sie für Furore und beschafft den Fans regelmäßig Nachschub. Wir hatten die Gelegenheit, mit ihr ein Interview zu führen.
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Geschichten gesponnen habe ich wohl schon immer. Als Kind habe ich mein Zimmer an den Wochenenden mehrfach umgestellt, um die richtige Kulisse für die Abenteuer meiner Barbies aufzubauen. Dass ich damals bereits ein richtiger Bücherwurm war, hat wohl seinen Beitrag geleistet. Ich wuchs mit der „Der Löwe ist los“-Kinderbuchreihe von Max Kruse auf, mit der unendlichen Geschichte, mit der „Augsburger Puppenkiste“ und der kleinen Hexe. Meinem Vater ist geschuldet, dass ich mit „Star Wars“, „Star Trek“, „Indiana Jones“ und „Jurassic Park“ sehr früh in Berührung kam, und meine Mutter versorgte mich immer mit dem neusten Disneyfilm. Nicht sonderlich hilfreich bei einem Kind, das eine überbordende Fantasie hatte.
Also fing ich an, selber Geschichten zu spinnen. Zuerst mit den erwähnten Barbies, dann auf der Schreibmaschine meiner Mutter. Damals habe ich sehr viele Anfänge produziert und vermutlich Unmengen an Papier verschwendet. Als Teenager habe ich dank „Dragonball“ die japanische Manga- und Anime-Kultur entdeckt, und mit ihr die Fan Fiction. Wie man als Jugendlicher so ist, habe ich mich kopfüber hineingestürzt und eine sehr faszinierende Welt vorgefunden, in der ich voll aufgehen konnte. Meine Geschichten haben damals zum ersten Mal eine Leserschaft erreicht, auch wenn es sich nur um Fan Fiction gehandelt hatte.
Nach ein paar persönlich schwierigen Jahren fing ich 2010 an, mich intensiver mit dem Thema Schreiben auseinanderzusetzen und das Handwerk von der Pike auf zu lernen. Talent allein reicht, wie so oft, nicht weit, wenn man nicht einmal die Grundlagen des Storytellings kennt. Die Idee einer ganz eigenen Geschichte, die vielleicht irgendwann einmal bei einem Verlag landen könnte, war aufregend und wandelte sich schnell zu einem fixen Ziel. Das wollte ich erreichen, auch wenn es Jahre dauerte!
2013 erschien meine erste Kurzgeschichte, 2015 folgte mit „Cesario Aero“ der erste Roman, der im Jahr darauf gleich unter den Finalisten für den Deutschen Phantastik Preis landete. Ich habe ein Genre für mich entdeckt, bei dem ich meine Liebe zu Geschichte, Sci-Fi und Fantasy ausleben konnte: Steampunk. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte.
Woher beziehst du deine Inspirationen?
Das ist so eine typische Frage, die wir Autoren mit der Zeit nicht mehr hören können (lacht). Jeder stellt sie, und doch bleibt es eine der am schwierigsten zu beantwortenden Fragen überhaupt. Inspiration ist ein sehr weiter Begriff und oft abstrakt. Für jeden bedeutet Inspiration etwas anderes und ist vielfach ebenso breit gefächert wie die eigene Persönlichkeit. Ich bin in den Zentralschweizer Alpen aufgewachsen, mit viel Natur um mich herum. Ich kann Bärlauch von giftigen Maiglöckchen unterscheiden und aus Dingen, die man im Wald findet, ein Feuer machen (ein Feuerzeug hilft enorm). Ich würde also sagen, dass die Natur für mich einen Großteil meiner Inspiration ausmacht, auch wenn ich seit Jahren in der Stadt lebe und nicht mehr so viel Zeit habe, kleinere Bergabenteuer zu bestreiten – oder gerade deswegen. Ich freue mich über die Gruppe Spatzen, die mitten auf einem belebten Platz in einer Pfütze ein Spa einrichtet. Oder im Sommer über die dunklen Wolkenwände, die über den Himmel rollen, wenn ein Gewitter im Anzug ist. Oder über Gehwege voller Laub, über den ersten Schnee im Winter, über die Lichter zur Weihnachtszeit.
Ich lese sehr viel und breit, von Klassikern über Historienschinken zum Spektrum der Phantastik sowie Bücher von Kollegen. Gerne bunt gemischt und mal deutsch, mal englisch. Inspiration für mich ist auch, zur Rush Hour mitten im Zürcher Hauptbahnhof zu stehen und die vorbeieilenden Menschen zu beobachten. Woher kommen sie? Wohin gehen sie? Wartet er auf sein Date? Geht die ältere, elegant gekleidete Frau mit der Sporttasche ins Boxtraining, oder hat ihr Sohn nur seine Sachen bei ihr vergessen? Als Autorin schreibe ich in erster Linie Geschichten über Menschen. Kann ich mich nicht in andere, vor allem Fremde, hineinversetzen, habe ich ein Problem. Inspiration ist also auch, sich mit sich selbst und mit anderen auseinanderzusetzen. Neues zu lernen, seinen eigenen Horizont zu erweitern – wer weiß schon, ob nicht in einer Dokumentation über das alte Ägypten die Idee für die nächste Story steckt? Oder in der älteren Frau mit der Sporttasche?
Schreibst du tagsüber oder lieber nachts?
Ich komme langsam in ein Alter, in dem durchgemachte Nächte ein schauderndes Kopfschütteln auslösen. Weil ich im Brotjob jahrelang mit Frühschicht gearbeitet habe, hat sich mein Biorhythmus darauf eingestellt. Ich schreibe also vorwiegend tagsüber, sehr oft auch abends nach der Arbeit. Ausnahmen gibt es immer wieder, wie z.B. am 31. Oktober, wenn um Mitternacht der NaNoWriMo beginnt und ich in den 1. November hineinschreibe.
Welchen Stellenwert nimmt das Schreiben in deinem Leben ein?
Seit ich vor etwas mehr als einem Jahr mit FROST & PAYNE angefangen habe, einen sehr hohen. Ich bin ein Workaholic. Vor- und nach dem Brotjob wird gleich noch eine Schreibsession angehängt, damit ich die Deadlines einhalten kann. Ich würde nicht behaupten, dass ich alles andere dem Schreiben unterordne, aber mein Sozialleben hat zeitweise schon arg gelitten. Doch ich habe das Glück, eine Familie und einen Freundeskreis zu haben, die mich darin unterstützen und es mir verzeihen, wenn ich mich mal monatelang nicht blicken lasse. Und dann gibt es noch all die tollen Menschen, mit denen ich online vernetzt bin. Ich sitze also nie wochenlang alleine in meinem Kämmerlein.
Das Schreiben ist für mich mittlerweile so arbeitsintensiv und zeitaufwändig geworden, dass ich nun den Sprung in die Selbstständigkeit wage. Brotjob und Schreibjob lassen sich nicht mehr vereinen, und ich musste mich entscheiden: Setze ich auf Kosten meines Schreibens auf die Komfortzone, oder greife ich nach meinen Träumen und springe dafür ins kalte Wasser?
Kannst du deinen Stil beschreiben, oder lässt du dich ungern festlegen?
Den eigenen Stil zu beschreiben ist schwierig. Ich mag Filme, vor allem Actionfilme, und ich habe während des Schreibens oft aktives Kopfkino. Ich versuche also, auch so zu schreiben: knackig, bildreich, intensiv. Der Leser soll ebenfalls Kopfkino haben. Langweile ich mich in einer Szene selbst, so wird sich auch der Leser langweilen. Meine Vorliebe für Actionfilme hat jedoch auch seine Tücken: Ich lasse zu viel explodieren. Einer der lustigsten Lektoratskommentare, die ich je bekommen habe, war die Anmerkung, dass ich doch bitte schön etwas weniger einen auf Michael Bay machen soll. Seither versuche ich, meinen inneren Martin Scorsese zu finden.
FROST & PAYNE ist dein aktuelles Projekt. Erzähl uns, wie alles begann. Wie die Charaktere entstanden sind.
Gleich vorneweg: FROST & PAYNE war nicht geplant. Aber wie sich herausstellte, war ich selbst schuld daran. 2014 ging ich mit einem fertigen Manuskript in der Tasche erstmals auf die Suche nach einem Verlag. Drei Verlage habe ich angeschrieben, einer davon war die Greenlight Press. Ich habe nie eine Antwort bekommen (Autorenkollegen werden nun wissend nicken. Absagen in Form von keiner Antwort gehören zum Repertoire der Branche). „Cesario Aero“ fand beim Verlag Ohneohren eine wunderbare Heimat und erschien im Sommer 2015 – und kurz darauf trudelte eine Mail von Greenlight Press ein. Verleger Andreas Suchanek mochte, was ich schreibe, und fragte mich, ob ich Interesse hätte, für ihn eine Steampunk-Serie auf die Beine zu stellen.
Erst dachte ich ja, die Mail sei aus Versehen bei mir gelandet. Ich, die Debütantin, die Anfängerin, soll eine ganze Serie schreiben? Ich werde von einem Verlag angefragt, ohne etwas dafür in der Schublade zu haben? Ne. Unmöglich. So etwas passiert nicht.
Während des weiteren Mailverlaufs stellte sich dann heraus, doch, er meinte mich, und ja, er meinte es ernst. Über die darauffolgenden Monate habe ich also ein Konzept über zwölf Bände erstellt, ein alternatives London erschaffen und eine bunte Menagerie an Figuren ins Leben gerufen. Und mir bestimmt ein Dutzend Mal in die Hosen gemacht vor Angst und Unerfahrenheit.
Die Worte „Mach mal“ sind für uns Autoren die befriedigendste, aber zugleich auch die fürchterlichste Anweisung, die man von einem Verlag bekommen kann. Ich hatte also freie Hand, wie meine Geschichte um die Diebin turned Detektivin Lydia Frost und den Ex-Pinkerton Jackson Payne aussehen soll. Hauptsache, es war Steampunk. Und das Schöne am Steampunk ist, dass man tatsächlich machen kann, was man will. Natürlich mussten ein paar Genrekonventionen mit hinein: Luftschiffe, Aether, Dampfmaschinen, verrückte Wissenschaftler und Kohlestaub. Hinzu kamen bei mir Einflüsse von Nikola Tesla und China, monopolistische Großkonzerne von heute, ein bisschen „Gangs Of New York“ sowie ein bisschen „Ripper Street“ und „Miss Fisher’s Murder Mysteries“.
Die beiden Hauptfiguren hatte ich relativ schnell auf dem Radar. Frost sollte ein mechanisches Geheimnis haben (ha, Spoilers!) und eine Vergangenheit, die eng mit den Geschehnissen der Serie verknüpft ist. Payne sollte ihr Gegenpol sein, ein Pinkerton und ein wenig schießwütig, wie Amerikaner eben sind. Die Wortgefechte der beiden machen mir riesigen Spaß. Und nein, keine Sorge, sie werden kein Paar. Payne ist nämlich mit einer genialen Wissenschaftlerin verheiratet. Die vielen Nebenfiguren fanden erst nach und nach zusammen. Da ich zum größten Teil Bauchschreiber bin, tauchen oft Figuren auf, die eigentlich nicht geplant waren. Aber genau die bleiben meistens. So geschehen bei Frosts Haushälterin, der schüchternen Helen und dem verrückten Waffenentwickler Baxter.
Erzähl uns etwas über die Geschichte.
Wir schreiben das Jahr 1885. London ist das von Kohle geschwärzte Herz des Empires. Die ehemalige Diebin Lydia Frost ist am Abend des chinesischen Neujahrs auf dem Weg zu Madame Yueh, ihrer Ziehmutter. Sie will sich endlich von den Dragons lösen und ihr eigenes Leben aufbauen. Sie will nicht weiter das Werkzeug der Organisation sein und für sie stehlen. Doch Madame Yueh lässt sie nicht einfach so gehen: Frost soll einen letzten Auftrag ausführen.
Als wären das nicht schon genug Probleme, muss sie auch noch den Pinkerton Jackson Payne ausfindig machen, der seit Wochen spurlos verschwunden ist. Payne jedoch hat seine ganz eigenen Pläne – er sucht nach seiner vermissten Tochter. Frost gerät wortwörtlich ins Kreuzfeuer und muss sich zwischen Paynes Leben und ihrer Freiheit entscheiden. So jedenfalls beginnt die Geschichte der beiden in Band eins, „Die Schlüsselmacherin“. Alles Weitere wären fiese Spoiler.
FROST & PAYNE erscheint monatlich, hast du dir selbst schon ein Finale gesetzt, oder läuft es unbegrenzt weiter?
Unbegrenzt weiterlaufen wird die Serie sicherlich nicht. Vorerst ist FROST & PAYNE auf zwei Staffeln angelegt, also auf 24 Bände. Theoretisch hätte ich noch Ideen für zwei weitere Staffeln. Wer weiß, wohin mich die Zukunft führt? Ich lasse mich selbst überraschen.
Hast du weitere Pläne für die Zukunft, worauf dürfen deine Fans sich freuen?
Ich arbeite im Hintergrund an einer zweiten Serie, die auf Basis eines an die Wand gefahrenen Romans entsteht. Sollte ich die Möglichkeit bekommen, diese Serie zu realisieren, wäre das große Klasse. Daneben schreibe ich noch an der Fortsetzung zu meinem Erstling „Cesario Aero“, auf die Verlegerin und Leser schon lange warten. Ein weiteres Romanprojekt ist ebenfalls in Arbeit, dieses ist jedoch zum ersten Mal nicht im Steampunk angesiedelt, sondern in der Barockfantasy. Ich glaube, den Begriff gibt es noch gar nicht. Barockfantasy ist ein Setting, das an das 17. Jahrhundert angelehnt ist, mit Flinten, Degen, absoluten Königen, Piraten, Magie, Musketieren und ganz viel Opulenz.
Wie gesagt, ich bin ein Workaholic.
Das Interview führte MIKIS WESENSBITTER