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goEast Filmfestival 2022 - Hommage: Lana Gogoberidze

Seite 2 von 2: goEast 2022

Im Caligari waren beim goEast 2022 auch die Handvoll Filme zu sehen, welche nicht digital, sondern als 35 mm-Filmkopie projiziert wurden. Mir war als Freund des Filmkorns nur die Projektion von WALZER AUF DER PETSCHORA vergönnt, in der zehn Filme umfassenden Sektion Hommage an Lana Gogoberidze. Es ist der persönlichste Film der georgischen Filmemacherin, die darin kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1992 ihre eigene Jugend aufarbeitete – mit einem Vater, der trotz Bekanntschaft und Korrespondenz mit Josef Stalin seinem Großen Terror zum Opfer fiel, und einer Mutter, die zehn Jahre Gulag überlebte – und in dem eigentlichen Farbfilm in Schwarz-Weiß als Voice Over Briefe an ihre Tochter spricht.



Die inzwischen 93-Jährige war auf dem Festival zu Gast und erzählte im Q&A im Anschluss des Films im Gespräch mit der kuratierenden Filmwissenschaftlerin Gaby Babić (siehe Foto) lebhaft über die Entstehung des Films und die Versuche eines Geheimdienstagenten, sie als KGB-Spionin anzuwerben. Die Virtuosität, mit denen Lana Gogoberidze Musik in ihren Filmen einsetzt, wird vor allem in ihrem ungleich früheren Film EINIGE INTERVIEWS AUF PERSÖNLICHE FRAGEN (1978) deutlich, wenn sie beschwingt-aufgeregte Orchestermusik bei der Suche der Kinder nach ihrem vermissten Hund gegen ein traurig-schwermütiges Klavierthema montiert, wenn ihre Eltern beim Spaziergang durch die Stadt ihre Ehe überdenken. Die Projektion dieses Films fand in einer für mich neuen Spielstätte, dem Theater im Pariser Hof statt, welcher es durch seine kleinen, verwinkelten Räume jedoch etwas an Kino-Charme fehlte. Das ungleich pompös-heimeligere Casino musste den steinern-unterkühlten Hallen vom Museum Wiesbaden als "Festivalstützpunkt" weichen. Immerhin lud ein davor geparkter K67-Ostkiosk besonders am Freitagabend zu Musik aus der Konserve gut zwei Dutzend Festivalbesucher und -gäste zum Cornern und Chillen auf den Museumstreppen ein - pandemiekonform wohl eine ganz gute Lösung.



Trotzdem steht das goEast auch 2023 wieder in meinem Kalender, nicht zuletzt wegen seiner vielen versteckten Filmperlen. Highlight für mich: DIE PASSAGIERIN (siehe Foto) aus dem Jahr 1963 in der Symposium-Sektion. Filmemacher Andrzej Munk starb vor Fertigstellung seines Films an einem Autounfall – und so werden Standfotos einer Kreuzfahrt gegen Rückblenden aus dem Konzentrationslager Auschwitz gegenübergestellt, wo SS-Aufseherin Liza zunächst mit subjektiv-geschöntem Voice Over über ihr Verhältnis zur inhaftierten Marta berichtet, bevor sich später durch ihre direkte Rede die Erzählperspektive wandelt. Großartig ist eine Szene, in der das Gefangenen-Orchester eine Darbietung für die Aufseher gibt – und sich Martas Liebe Walter nicht nur langsam an sie heranpirscht, sondern auch das Heulen und Fauchen einer Lokomotive die dramatischen Klänge von Bach durchschneidet. Ein Moment voller Poesie und Grausamkeit, die nach langer Zeit des Friedens in Form eines Krieges aktuell wieder zurück ist in Europa.

LUTZ GRANERT

Fotos: @goEast; Interview-Foto: Lutz Granert

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