Mafia 3
EIN MANN, DER KEINE ZEIT MIT SEINER FAMILIE VERBRINGT, IST KEIN RICHTIGER MANN
Die MAFIA-Reihe steht in der Tradition des großen, filmischen,amerikanischen Gangsterepos. Während bislang vor allem die schnittig inszenierten Story-Missionen das eigentliche Herz der Serie waren, will der neue Entwickler Hangar 13 dazu eine große Open World implementieren. Diese mit einem variablen Handlungsbaum sinnvoll zu verbinden dürfte einer Mammutaufgabe gleichkommen.
EIN MANN, DER KEINE ZEIT MIT SEINER FAMILIE VERBRINGT, IST KEIN RICHTIGER MANN
Die MAFIA-Reihe steht in der Tradition des großen, filmischen,amerikanischen Gangsterepos. Während bislang vor allem die schnittig inszenierten Story-Missionen das eigentliche Herz der Serie waren, will der neue Entwickler Hangar 13 dazu eine große Open World implementieren. Diese mit einem variablen Handlungsbaum sinnvoll zu verbinden dürfte einer Mammutaufgabe gleichkommen.
Als MAFIA 3 auf der letztjährigen Gamescom vorgestellt wurde, war das Staunen groß, und gerade viele Fans der ersten Stunde standen der Neuentwicklung ihres Lieblings eher skeptisch gegenüber. Immens war die Sorge vor einer weiteren, zum „GTA“-Klon verkommenen Spielemarke mit stupidem Abklappern von Sammel-Aufgaben und repetitivem Missionsdesign zulasten der meisterhaften Erzählweise, für die die Serie bislang stand. Dabei war es die eigentliche Intention von Entwickler Hangar 13 und dem co-produzierenden Serienschöpfer 2K Czech, den bisher größten Schwachpunkt der Serie zu beheben, nämlich die nur als –zugegeben recht atmosphärische – Kulisse vorhandene Spielwelt. So legten sie ihren Fokus bei der damaligen Präsentation vor allem auf die Neuerungen. Nach der E3 2016 darf nun wieder aufgeatmet werden, denn hier zeigte 2K recht eindrücklich, dass auch
MAFIA 3 genauso gute Geschichten erzählen kann wie seine beiden Vorgänger.
FAMILIENBANDE
MAFIA 3 nimmt den Spieler mit nach New Bordeaux, 13s Version des turbulenten New Orleans von 1968. In den USA herrschen Konflikte zwischen Schwarzen und Weißen, in Südostasien tobt der Vietnamkrieg. Der farbige Hauptprotagonist Lincoln Clay hat trotz seines jungen Alters schon eine bewegte Vita: Der Waise war er nie wirklich Teil einer Familie und suchte seither nach Ersatz. Als Heranwachsender fand er diesen bei einer Straßengang, dann in einer Kirchengemeinde und schließlich bei der Armee. Als Vietnam-Heimkehrer schließt er sich der afroamerikanischen Mafia von New Bordeaux an, sein Pate wird so etwas wie eine Vaterfigur. Doch auch hier kann Clay keinen Seelenfrieden finden, denn sein Mob wird von der italienischen Mafia überrumpelt und fast vollständig ausgelöscht.
Clay schwört blutige Rache an allen Mafiosi, allen voran deren Paten Sal Marcano, und scharrt viele Verbündete um sich. Seine drei Lieutenants haben alle ihr eigenes Hühnchen mit den Italienern zu rupfen: Die Anführerin des haitianischen Syndikats, Cassandra, wird als Voodoo-Königin gefürchtet. Der Gangster Thomas Burke war Anführer des irischen Syndikats, bis er von seinen italienischen Kollegen ausgebootet und zum Krüppel geschlagen wurde. Nur zu gerne möchte er seine ehemaligen Geschäftspartner in Anarchie und Chaos untergehen lassen. Letzter im Bunde ist Vito Scaletta, der Fans der Serie als Hauptfigur von MAFIA 2 noch gut in Erinnerung sein dürfte. Er ist sichtlich ergraut, denn auch ihm haben seine früheren Freunde übel mitgespielt. Er wurde durch die Familie von Empire Bay nach New Bordeaux verbannt und ist nun der Gejagte. Clay findet in ihm allerdings einen loyalen Weggefährten, der auch im Angesicht der Gefahr standhaft bleibt. Sie alle wollen New Bordeaux entweder kontrollieren oder in Schutt und Asche legen.
UNBEGRENZTE MÖGLICHKEITEN
Die große Aufgabe der Entwickler war es, die serientypische Storydichte so in ein Open-World-Gameplay zu integrieren, dass das eine nicht unter dem anderen leidet. Gerade bei den detailverliebten und immer sehr cool inszenierten Story-Missionen, die MAFIA 1 und 2 auszeichneten, kein leichtes Unterfangen. Die Prämisse von Hangar 13 war deshalb von vornherein, das Spiel nicht im genretypischen Sammelwahn zu ersticken, sondern die Welt eben vor allem mit möglichst vielen Handlungsbausteinen zu beladen. Wie stark dann einfache Nebenaufgaben gegenüber aufwändiger inszenierten Hauptmissionen abfallen, bleibt natürlich abzuwarten. Gespielt wird in gewohnter Thrid-Person-Manier, als Deckungs-Shooter und mit Free-Roaming im zeitgenössischen Auto der eigenen Wahl. Die Karte von New Bordeaux ist in zehn Distrikte unterteilt, die jeweils von einem Unterboss der Italienischen Mafia verwaltet werden. Bis man es mit einem von ihnen direkt aufnehmen kann, müssen die Gegner allerdings geschwächt werden. Das funktioniert über monetären Schaden, den der Spieler nach Lust und Laune anrichten kann: Attentate, Sabotage, Zeugen-„Befragungen“, Drogengeschäfte verhindern, Kuriere abfangen, Zuhälter drangsalieren, zwielichtige Spielunken ausnehmen oder einfach Mafiaeigentum in die Luft jagen – Möglichkeiten gibt es zuhauf. Auch das Wie bleibt den individuellen Vorlieben überlassen, vom Stealth-Angriff bis hin zum marodierenden Mob mit einer ordentlichen Anzahl an Gunmen gibt es unzählige Varianten, die zum Ziel führen können. Neben dem neuen Element des Schleichens liegt ein nicht unwesentlicher Fokus auf dem Melee. Hier können Gegner mit verschiedenen Take-Down-Manövern direkt ausgeschaltet werden. Die Adleraugen-Sicht gibt dem Spieler dabei einen taktischen Vorteil. Aber Vorsicht: Die KI ist nicht auf den Kopf gefallen. Hat man einen Distrikt übernommen, muss dieser einem der Lieutenants zugewiesen werden. Jeder der drei führt seine Gebiete anders, was z.B. die Ausbildung von Schlägern oder Ressourcenverwaltung angeht. Je nach Wahl hat das sowohl Vor- als auch Nachteile für die eigene Spielweise und den weiteren Kampagnenverlauf. Und 2K verspricht einen deutlich Spieler-individuellen Plot. Viele der Entscheidungen, die man in MAFIA 3 treffen muss, beeinflussen unmittelbar den Lauf der Geschehnisse. Beispielsweise kann ein bei der Distrikt-Vergabe übergangener Lieutenant verärgert reagieren. Im schlimmsten Fall züchtet man sich so einen späteren Verräter, auf den in letzter Instanz Jagd gemacht werden muss. Auch solche Ereignisse werden in speziell inszenierten Story-Missionen begangen, die man so nur im Eventualfall zu Gesicht bekommen wird. Wer MAFIA 3 also nur einmal durchspielt, dürfte eine Menge verpassen.
WILLKOMMEN IN DEN SECHZIGERN
Wie seine Vorgänger verpflichtet sich auch MAFIA 3 einem nervenaufreibenden und actiongeladenen Gameplay mit Hollywood-Atmosphäre. Die Inszenierung ist serientypisch detailverliebt, die Umgebung ist zu großen Teilen zerlegbar, Motoren knattern mit drückenden Sounds, und die Waffen haben ordentlich Wumms. Überhaupt ist New Bordeaux komplett inspiriert von der Ära der späten 1960er in Amerika, seiner Mode und seiner Musik. Dafür hat Hanger 13 einen gigantischen Lizenz-Soundtrack mit über 100 sorgsam ausgewählten, zeitgenössischen Tracks zusammengeschustert, ein Stück Musikgeschichte quasi. Hier finden sich legendäre Rhythm‘n‘Blues- und Rock‘n‘Roll-Helden wie The Rolling Stones, Creedence Clearwater Revival, Steppenwolf, Aretha Franklin, Jefferson Airplane, The Temptations, Cream, Johnny Cash oder die Beach Boys, die nicht nur ihre Generation, sondern die Musikgeschichte an sich geprägt haben. Dazu wurden zwei der besten Komponisten der Games-Branche angeheuert: Jesse Harlin und Jim Bonney haben eine großartige Spielmusik komponiert, die Schießereien, Verfolgungsjagden und Filmsequenzen untermalt. Doch nicht nur das goldene Musikzeitalter wird in MAFIA 3 thematisiert, sondern auch die dem Protagonisten entsprechende soziale Ungleichheit und Rassentrennung. Das zeigt sich auch in den unterschiedlichen Stadtteilen von New Bordeaux, die mit viel Liebe erdacht wurden, ihren ganz eigenen Stil und eine eigene Geschichte haben. Im sumpfigen Vorort Bayou gibt es vor allem baufällige Holzbaracken. Hier regiert der illegale Waffenhandel. Das Reichenviertel Frisco Fields ist vom Rassenhass zerfressen, und in den Slums von Delray Hollow zerstört Heroin jeden Tag Dutzende Existenzen.
„Familie ist nicht das, in was man hineingeboren wird. Familie ist das, wofür man stirbt.“
In Sachen PR haben 2K ihre Hausaufgaben wie immer gemacht. Eine Trailer-Kampagne stellt Clay und seine drei Lieutenants vor, durch das Schicksal zu einer neuen Familie vereint auf ihrem Rachefeldzug gegen die Mafia. Die limitierte Collector’s Edition bietet passend viel physische Nostalgie, wie den offiziellen Soundtrack und die Spielmusik auf 180-Gramm-Vinyl, ein Sammel-Kunstbuch und Kunstdrucke. Vorbesteller der Standard und der Limited-Deluxe-Edition erhalten das Family-Kick-Back-Bonuspaket mit drei exklusiven zeitgenössischen Boliden und Waffen.
FAZIT
MAFIA 3 hat den Anspruch, sowohl liebgewonnene Traditionen zu pflegen, als auch drastische Neuerungen zu präsentieren. Ein Open-World-Spiel mit integraler individueller Story, bombastischer Inszenierung, aber ohne überflüssige Krimskrams-Sammelei klingt wie eine hehre Nonplusultra-Beschreibung. Nach den Eindrücken der letzten Messe-Präsentationen scheint diese allerdings nicht allzu abwegig zu sein. Weitere Pluspunkte dürften die ausgeklügelte Third-Person-Mechanik und die ebenso authentische wie atmosphärische Inszenierung werden. Wer also immer schon einmal einen kompletten Schaufelrad-Dampfer zu den Klängen von Creedence Clearwater Revival im digitalen Mississippi versenken wollte, ist bei MAFIA 3 genau richtig.
VOLKERT REISS
PRODUKT-INFO
MAFIA 3
Publisher 2K
Entwickler Hangar 13 & 2K Czech
Plattform PS4, Xbox One, PC
USK ab 18
Verkaufsstart 7. Oktober
- Aufrufe: 4196