Interview mit Thilo Krapp
Interview mit Thilo Krapp
„Architektur erzählt auch etwas über uns Menschen“
Thilo Krapp legte Anfang des Jahres seine Graphic Novel-Adaption des Romanklassikers „Der Krieg der Welten“ von H.G. Wells vor. Wir sprachen mit ihm zur German Comic Con in Berlin über die ästhetisch faszinierende Zeit um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – und worauf Comiczeichner heutzutage besonderen Wert legen sollten.
Welche sind deine Favoriten bei Comics oder Graphic Novels?
Ich habe eine Graphic Novel, die ich sehr mag: „Ein Sommer am See“ von Mariko Tamaki. Da geht es um das Kindsein, welches man noch erlebt und die Phase des langsamen Erwachsenwerdens. Alles ist sehr liebevoll und dem Geschehen zugewandt gezeichnet. Das ist wirklich eine meiner liebsten Graphic Novels. Will Eisner und seine Werke gehören ebenfalls dazu.
In deiner Graphic Novel zum Roman „Der Krieg der Welten“ sind deine Illustrationen eher ruhig und in Sepia-Tönen gehalten. Die Katastrophe wirkt eher schleichend und bedrohlich und nicht rasant, schnelllebig und zerstörerisch. War das etwas, was du von Anfang an geplant hast?
Ich wollte, dass der Comic dem Original, den Roman von H.G. Wells, sehr nahe kommt. Von daher hatte ich sehr schnell das Konzept von der ländlichen Ruhe im Kopf, die auch im Roman beschrieben wird, über die aber das Unvorstellbare hereinbricht. Bei der Umsetzung in eine Graphic Novel wollte ich mich stilistisch auch an den Illustrationen der Zeit orientieren, in der das Buch entstanden ist: Um 1898. Dementsprechend habe ich die Bilder also in diesen verblassenden Tönen gehalten und beim Zeichenstil habe ich mich an der Gestaltung von Zeitschriften-Comics aus der Epoche orientiert. Es sollte auch nicht so effekthascherisch herüberkommen, die Geschichte ist schon dramatisch genug. Der Leser sollte sich Zeit lassen können, in dem Buch, in der Geschichte zu versinken.
Du hast sogar das Wertheim-Kaufhaus in Berlin in einem Artwork rund um deine Graphic Novel verewigt, die exklusiv für die German Comic Con Berlin im September angefertigt wurde. In deiner Phantasie hat dieses Gebäude den Angriffen der Marsianer leider nicht standgehalten. Gerade die Architektur hat eine besondere Stellung in deinen Werken. Inwieweit ist sie für dich und deine Erzählweise wichtig?
Da muss ich etwas weiter ausholen. Als ich damals das Buch zum ersten Mal gelesen habe, merkte ich, wie unglaublich stark es selber auf die Umgebung eingeht, in der es spielt. H.G. Wells ist selber in Südengland aufgewachsen und kannte die Orte, die in dem Buch eine Rolle spielen, so gut wie seine Westentasche. Noch heute kann man parallel zum Roman die Handlungsorte regelrecht ablaufen. Das führt zu einer gewissen Aktualität dessen, was im Buch passiert. Die Handlung rückt uns damit näher, und daher war es mir auch wichtig, dieses Merkmal in die Adaption zu übernehmen. Es schließt ebenfalls mit ein, nicht nur die Landschaft zu beschreiben, sondern auch die typischen Gebäude, die dort stehen. Dazu gehört dann eben auch die Architektur, die in England damals einfach anders aussah als bei uns zur damaligen Zeit. Mir ist die Kulisse bei einem solchen Stoff ziemlich wichtig. Denn meine Meinung ist, dass die Architektur, die uns Menschen umgibt, auch etwas über uns Menschen erzählt – zumindest ist sie ein gutes Mittel dafür, weitere „Information“ über Figuren zu vermitteln. Diese Dinge spiegeln uns mit unserem Geschmack und Vielem wider, was uns ausmacht. Es ist also möglich, auch etwas über die Figuren in der Graphic Novel auszusagen, wenn ich zeige, worin sie leben und wie sie sich einrichten.
Gibt es darüber hinaus bei dir eine Verbindung zum Thema Architektur?
Generell interessiere ich mich sehr für das Thema. Ich habe immer gerne Kunst- und Design-Bücher studiert und mich im Studium auch mit Architektur beschäftigt. Gerade die Arbeit an KRIEG DER WELTEN war für mich in diesem Punkt sehr bereichernd. Stilistisch war die Zeit um 1900 sehr vielfältig und als Zeichner ist sie damit für mich besonders interessant. Bei der Umsetzung von KRIEG DER WELTEN kamen für mich zwei reizvolle Dinge zusammen: Auf der einen Seite wollte ich, dass man sich beim Lesen der Graphic Novel genauso fühlt wie zu H.G. Wells‘ Lebzeiten, und auf der anderen Seite kam mir der künstlerische Aspekt, dafür das Design der Zeit widerzuspiegeln, sehr entgegen. Es ist einfach unglaublich zu sehen, wie fit die Designer damals darin waren, mit verschiedenen oder neu aufkommenden Stilen zu spielen. Es sind auch viele neue Gestaltungskonzepte in dieser Zeit entstanden, sie ist aus historischer und kulturgeschichtlicher Sicht einfach ziemlich aufregend.
Es spielt bei so einer Adaption, wie ich sie angelegt habe, schon eine Rolle, wie es damals aussah. Das Bild spricht halt auch eine Sprache und versetzt den Leser in eine Atmosphäre. Da gibt es zum einen diese prachtvolle und festliche Architektur in den Städten und dem gegenüber steht das ländliche Leben und die Idylle. All das, was für die Sinnenfreude der Menschen steht, wird in dem Buch dann aber dem Erdboden gleichgemacht oder zumindest stark zerstört. Dieser Kontrast, das Schöne und das Schreckliche, zeigt im Bild etwas über den Inhalt, die Geschichte auf. Ich glaube, kühles Design wäre zu steril gewesen für das, was die Geschichte innerlich aussagt oder über den Menschen preisgibt.
Der Trend zu Literatur-Adaptionen von Klassikern hat in letzter Zeit zugenommen, wie es etwa Flix und Bernd Kissel mit dem „Baron Münchhausen“ gezeigt haben. Wie denkst du darüber? Werden bald mehr Comics und Graphic Novels im Unterricht zu den Klassikern gelesen?
Sie haben schon ihren Weg in die Schulen gefunden – vielleicht eher, wenn die thematische Einordnung passt. Ich glaube, Graphic Novels werden eher dann für den Zweck der Vermittlung eines Klassikers genutzt, wenn es zum Curriculum und zu den Themen passt. Oder für ganz aktuelle Themen, über die gesprochen wird. Zum Beispiel hat Reinhardt Kleist mit „Traum von Olympia“ das Flüchtlingsthema behandelt. Das ist schön, denn zu meiner Zeit als Schüler wurden Comics kaum als Unterrichtsmaterialien genutzt.
Vor einigen Jahren hattest du in einem Interview erwähnt, dass der Comic in Deutschland noch viel mehr Beachtung und Akzeptanz verdient hat. Wie denkst du heute darüber? Hat sich etwas verändert?
Es hat sich schon verändert. Die Debatte darum wird ja auch immer wieder aufgegriffen, was letztendlich bedeutet, das etwas in Bewegung ist. Die Diskussion um die Unterscheidung zwischen Comic und Graphic Novel ist immer wieder im Gange, wenn auch vielleicht oft szenenintern. Meine Hoffnung und auch optimistische Vermutung ist, dass sie weiter wachsen wird – und populärer geworden sind Comics ja ohnehin schon.
Du gibst selbst einige Workshops und unterrichtest zu Comics und Graphic Novels an der AID Berlin (Akademie für Illustration und Design). Was rätst du Leuten, die ebenfalls anstreben, Zeichner zu werden?
Kontinuierlich herausfinden, was sie wirklich zeichnen wollen, welche Themen sie wirklich selbst interessieren. Vorbilder kopieren ist gut, gerade auch fürs Üben, und selbst, wenn sich der eigene Stil später nicht in die Richtung des Kopierten entwickelt. Immer daraufhin zu arbeiten, ein Ziel zu verfolgen und die Leidenschaft für das Zeichnen nicht zu verlieren.
Bei der Ausbildung als Comiczeichner ist es meiner Ansicht nach gut, alle Aspekte - oder so viele wie möglich - einzubeziehen, die bei einem Comic eine Rolle spielen. Nicht nur WIE gezeichnet wird, sondern auch der Aufbau der Geschichte, das In-Szene-Setzen durch Beleuchtung, Schnitt und Perspektive, um nur einen Teil zu nennen. Ich rate dazu, einen ganzheitlichen Ansatz zu haben, also die Zeichnung nicht ausschließlich über die Geschichte zu stellen, aber auch nicht andersrum. Es geht darum, ein qualitativ hochwertiges Produkt zu schaffen. Ich sage bewusst Produkt, denn es muss ja dem Leser letztendlich präsentiert werden – an dem, bis es so rund ist, wie einem möglich, manchmal eine ganze Weile lang immer wieder gefeilt und verbessert werden muss. Und es ist wichtig, immer wieder auch Comics von den Künstlern zu lesen, die man selbst mag, deren Arbeiten man verfolgt und sich immer wieder zu fragen: Wie machen die das?
Thilo, wir danken dir für das Gespräch!
Das Interview führte BELIND HAJY.Weitere Infos zum Autor: http://thilo-krapp.blogspot.de/
Titel: DER KRIEG DER WELTEN
Autor: Thilo Krapp
Verlag: Egmont Graphic Novel
Erscheinungsform/Seitenzahl: gebunden/144 Seiten
Erscheinungstermin: veröffentlicht
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