Der Dunkle Turm
Der Dunkle Turm
Opulente Ödnis
Dass DER DUNKLE TURM nach einer visuellen Umsetzung schreit, wusste man schon 1982 kurz nach Erscheinen von Stephen Kings erstem Buch über den Revolvermann Roland Deschain. Die aktuelle Verfilmung des Stoffs und nicht zuletzt ein edler Comic, der mit DER SEEFAHRER schon in die 16. Runde geht, haben den Traum mittlerweile wahrgemacht.
Die Romanvorlage gilt als Schlüsselwerk des Horror-Altmeisters (ausgerechnet ein Fantasy-Werk) und erstreckt sich über acht Bände in rund 20 Jahren, die man mit Recht als sein ultimatives Statement ansehen darf. Zugleich unterstreicht DER SEEFAHRER die Zeitlosigkeit von Kings Ideen, auch weil er selbst quasi als Qualitätsprüfer und gestalterisch-dramatischer Impulsgeber für den Comic fungierte, sodass die für den Ausgangsstoff charakteristischen Querverweise zu seiner Autorenschaft auch übernommen wurden.
In diesem Band nehmen zwar die „Großen Alten“ (H.P. Lovecraft lässt grüßen) einen höheren Stellenwert ein, doch im Grunde halten die Macher am ewigen Kampf zwischen Gut und Böse fest, der im Kern der Sache steht. Der Schriftsteller scheint persönlich durch den Plot zu sprechen, selbstreferenziell wie in den Büchern, obwohl sich die Story lediglich an den Grundkoordinaten orientiert, denn wie schon zuvor ist ihrem Hauptstrang mit DER SEEFAHRER ein Nebenarm gewachsen, eine neue Geschichte unter gegebenen Vorzeichen.
Den Schöpfern gelingt dabei der Coup, den die aktuelle Filmproduktion unter Sony allein schon von ihrer konventionellen cineastischen Anlage her nicht schaffen kann: DER DUNKLE TURM schürft als Graphic Novel in der Tiefe, wohingegen die bewegten Bilder nur an Oberflächen kratzen. Soziale Spannungen und ethnokulturelle Referenzen lassen sich nur hier in epischer Breite miteinbeziehen, was insbesondere in Gestalt der Gefährten von Roland geschieht. So ist etwa der drogenabhängige New Yorker Eddie Dean ein Kind der 1980er, und als an einen Rollstuhl gefesselte Schwarze verkörpert Odetta Holmes alias Susannah aus den 1960ern – stilecht mit Afro – auf geradezu überzeichnete Art eine prototypische Minderheit in den Vereinigten Staaten.
Abgesehen von solch politischen Untertönen strotzt die Serie vor historischen Anspielungen, die sich vom Revolvermann als klassischem Cowboy und maulfaulem Outlaw vor Western-Kulisse über mythologische Exkurse bis hin zu Bezügen auf mittelalterliches Rittertum ziehen.
Die Wahl der Ausführenden neben King selbst trägt der Substanz der ursprünglichen Saga Rechnung: King-Expertin Robin Furth beaufsichtigte auch diese Folge, während sich Marvel-Ikone Peter David ein weiteres Mal als Wortzauberer bewährt und die Zeichnungen des aufsehenerregenden Newcomers Juan Antonio Ramírez nicht immer mit viel Text begleiten muss. Die Gewichtung von Geschriebenem und Gemaltem wurde perfekt ausbalanciert, und optisch war dieses Ding sowieso von Beginn an ein Leckerbissen. DER SEEFAHRER ist nicht der erste Comic der Reihe, der in kühlen Blautönen gehalten ist, doch deren Kontrastierung durch bunte Zwischentöne, vor allem in grellem Rot und Grün, wirkte noch nie so durchschlagend wie jetzt.
Splitter veröffentlichen auch diesen Band, der auf den fünf englischsprachigen Heften „The Drawing Of The Three“ beruht, als verschwenderisches Coffeetable-Book im Festeinband mit einem üppigen Anhang, der zusätzliche Illustrationen und aufschlussreiche Randnotizen enthält. So kann man das Lesevergnügen mit einer Cover-Galerie ausklingen lassen, nicht zu vergessen abgebildeten Entwicklungsstufen von Skizzen bis zu den jeweils endgültigen Tableaus, Erläuterungen zur perspektivischen Umsetzung des Narrativen sowie über die Kolorierung und Erwägungen, die fürs Seitenlayout gezogen wurden. Stimmungs- und prachtvoller kann man die unwirtliche Kulisse, vor der DER DUNKLE TURM spielt, nicht in Szene setzen, und wer vom laufenden Streifen enttäuscht wurde, wird diesen stehenden Strip lieben!
ANDREAS SCHIFFMANN
Titel: DER DUNKLE TURM – DER SEEFAHRER (Band 16)
Autor/Zeichnungen: Stephen King, Peter David, Robin Furth/Juan Antonio Ramírez, Jesus Aburtov
Verlag: Splitter
Erscheinungsform/Seitenzahl: Hardcover, 144 Seiten
Verkaufsstart: veröffentlicht
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