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Leipziger Buchmesse 2018 - Teil 1

Menschenmassen, Joschka Fischer und ein Fledermaus-Mann – Multimania berichtet für euch vom alljährlichen (diesmal schneereichen) Bücherfrühling in Leipzig.

Wintereinbruch und Bahn-Chaos verhinderten wohl, dass am Ende dieser Leipziger Buchmesse wieder das magische Wort „Besucherrekord“ stand. Doch auch die rund 271.000 Besucher (2017: 285.000) waren mehr als genug, um für manchen die Bücherlust zum Messefrust werden zu lassen. Ein wirklich funktionierendes Personenleitsystem zu Stoßzeiten war leider auch in diesem Jahr wieder nicht zu erkennen. Die Devise „mehr ist besser“ mag wirtschaftlich für die Veranstalter attraktiv sein, für mehr Spaß beim Messebesuch sorgt es sicherlich nicht.

Paradebeispiel für dieses „Zuviel“ war der völlig überlaufene Auftritt von Joschka Fischer bei der „LVZ Autorenarena“: Der Ex-Außenminister stellte sein neues Buch „Der Abstieg des Westens“ vor, erschienen jüngst beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, dem man eine ehrliche Erschütterung des Autors anmerkt angesichts der politischen Veränderungen der letzten zwei bis drei Jahre: Brexit, Trump, europakritische und nationalistische Tendenzen überall auf dem „alten“ Kontinent. Mit dem britischen Ja zum Brexit im Juni 2016 beginnt denn auch Fischers Buch, denn dieses Votum sieht er beispielhaft für die „mentale Abkehr von der Gegenwart und einer für die Europäer nur trübe Aussichten versprechenden Zukunft, verpackt in eine aggressive Ablehnung bis hin zur offenen Feindschaft gegenüber dem europäischen Einigungsprozess“.

Fischers Buch ist im Wesentlichen eine Mahnung, den Wert des Gemeinschafts- und Friedensprojekts Europa nicht zu unterschätzen. Manches davon liest sich ein bisschen wie ein Grundlagenwerk der internationalen Beziehungen für Studienanfänger; auch wenn er das „Jahrhundert Chinas“ und eine potenzielle „Verlagerung des globalen Zentrums in Richtung Ostasien“ am Horizont sieht, ist das nicht völlig neu. Aber man spürt, dass es ihm nahe geht und er überzeugt ist, dass die europäischen Staaten sich zusammenraufen müssen. „Sonst wird mit uns Schlitten gefahren“, warnt er pointiert das Messepublikum. Überhaupt fällt sein Messeauftritt vom Ton her weniger dozierend aus als das Buch – das kann bei einem Politikprofi wie Fischer aber auch nicht überraschen; er kennt sein Publikum in Leipzig. Dennoch (oder gerade deswegen?) liefert er vor den Messebesuchern ein flammendes Plädoyer für ein starkes Europa. Aber hier – wie im Buch – zeigt er sich skeptisch bis besorgt. Auf das Wort „Abstieg“ lege er jedoch Wert, so betont Fischer andernorts auf der Messe, denn es gehe eben um etwas Schrittweises, nicht etwas Plötzliches – nicht um einen „Untergang“ des Westens: „Die Sowjetunion, die ist untergegangen“, sagt er zum Vergleich. Das versteht auch, wer sonst keine Bücher über Politik liest.

Der Bücherfrühling ist politisch wie nie

Doch der Termin mit dem Ex-Außenminister war auch Ausdruck einer zweiten Tendenz: dass die Leipziger Buchmesse nämlich nicht nur immer voller, sondern auch immer stärker politisch wird – und das seit Jahren. Die Programmreihe „Europa21 – Denk-Raum für die Gesellschaft von morgen“ etwa war mit Veranstaltungen rund um Solidarität, Identität und Nationalismus dezidiert politisch ausgerichtet; das zeigten schon die zugehörigen Plakatmotive (siehe Foto). Zusätzliche Wirkung entfalteten in diesem Jahr wohl auch die runden politischen Jahrestage – zu 1968 etwa und zur Geburt von Karl Marx –, aber auch die Präsenz rechter Verlage und die Gegenaktionen des Zusammenschlusses „Verlage gegen rechts“.

Freilich ging es in der Buchbranche immer schon um Weltanschauung, um Selbstpräsentation, um Verkauf und Aufmerksamkeit. Gerade die beiden letztgenannten sind ja seit jeher der eigentliche Antrieb hinter vielen Buchveröffentlichungen.

Allerlei Scharlatane hätten dabei im Buchsektor ein Refugium gefunden, „die man früher geteert und gefedert und vom Jahrmarkt gejagt hätte“, warnte Literaturkritiker Denis Scheck pointiert auf der Messe. Selbsternannte Wunderheiler und Welt-Erklärer „müssten meinetwegen nicht mit 7 Prozent Mehrwertsteuer belohnt werden“, so Scheck bei seinem „Best of Druckfrisch“ im vollbesetzten ARD-Forum.

FRANK KALTOFEN

Titel: DER ABSTIEG DES WESTENS. EUROPA IN DER NEUEN WELTORDNUNG DES 21. JAHRHUNDERTS
Autor: Joschka Fischer
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Seitenzahl: 240
Erscheinungstermin: veröffentlicht