
Musik unter der Bettdecke
Frank Schindel ist aus den Anfängen der deutschen Anime-Geschichte ebenso wenig wegzudenken wie seine legendären Hits »Leb deinen Traum« aus »Digimon Adventures« oder »Ich bin nur ein großer Träumer« der dritten Digimon-Staffel »Digimon Tamers«. Seine einzigartige Stimme, das Gefühl, und nicht zuletzt die erste Ära der Anime und Manga in Deutschland, Anfang der 2000er Jahre, sind untrennbar mit ihm verbunden – Zeit für einen Ausflug in die Welt des Frank Schindel.
Frank Schindel wird am 02.03.1965 in Karlsruhe geboren. „Ich habe früh richtig Bock auf Musik bekommen. Aber es war damals nicht so einfach an diese ran zu kommen, wie es heute der Fall ist“, erinnert sich Schindel. Klar, Musik auf Abruf oder zum Download sind höchstens Gedankenspiele aus dem 1966 gestarteten „Star Trek“ – bis YouTube und Spotify ist es noch ein langer Weg. Das Radio ist das Alpha und das Omega aller Musikliebhaber der Zeit. „Mit 10 Jahren habe ich spät Abends, wo ich eigentlich schlafen sollte, heimlich mit meinem kleinen Radio unter der Bettdecke Pop-Shop gehört.“, die Musik-Sendung ist bis weit in die 80er ein an die Jugend gerichtetes Hörfunkprogramm des Südwestfunks Baden-Baden. Mit dem Erhalt eines Radio-Rekorders, der den Mitschnitt von Radiosendungen auf Kassette erlaubt, erfüllt sich ein Traum des jungen Schindel. „Es war nur nervig, dass oft am Anfang oder am Ende eines Songs die Moderatoren reingeredet haben – bei Lieblingssongs war das absolut störend“, erinnert sich der Musiker lachend.
Mit 11 erhält der junge Musik-Nerd seine erste Akustikgitarre, mit 14 gründet er gemeinsam mit ein paar Kumpels eine kleine, aber gut funktionierte Schülerband. Aber auch hier galt, Inspiration schärft den Pioniergeist. „Wir mussten unsere Eltern stets überreden, uns Instrumente zu kaufen, sie waren natürlich gebraucht, aber das hat uns nicht gestört.“ Am Ende hat sogar der leere Keller im Elternhaus eines Freundes als Übungsraum herhalten müssen. „Lautsprecherboxen, Verkabelungen, Adapter und viele andere Sachen haben wir selbst gebaut – Das gab es zwar alles zu kaufen, war es sehr teuer. Leider hat das dann nur ein paar Jahre gehalten“, erinnert sich Frank Schindel. Die ersten Auftritte der Jungband fanden zu Kirchen- und Schulfesten statt, 5 bis 6 Mal im Jahr tritt Frank mit seiner Band in seiner Jugendzeit auf. Das änderte sich, als die Schule vorbei war und alle Freunde ihr Heil in der Ferne suchten.

Frank Schindels erste Band „Soulfood“ (Pressefoto von 1992)
Von München und Höhepunkten
Frank Schindel zog es am Ende seiner Schulzeit nach München, in eine Stadt in der musikalisch mehr lief als im langweilig gewordenen Karlsruhe. Der junge Mann wusste, er will weiter Musik machen, München verspricht ihm all das zu schenken. Wie viele junge Männer, startet Schindel im Zivildienst in das „echte Leben“. „Ich hatte großes Glück, hatte ein cooles Zimmer unter dem Dach in der Einrichtung, und konnte jeden Tag dort essen – so konnte also meine ca.600 Mark Sold verwenden, um mich um meine Leidenschaft zu kümmern“, erinnert sich Schindel. Über Freunde hat er schließlich den Kontakt in die Münchener Musikwelt gefunden - Gitarre hat er dann allerdings nicht mehr gespielt, denn es wurden vor allem eine Sorte Musiker gebraucht: Sänger.
Es wird eine lebensveränderte Entscheidung für Schindel, sich dem Dasein als Sänger zu widmen. Mit einer seiner ersten Bands „Soulfood“ leistet Schindel Pionierarbeit in der Münchener Musikszene. Soul- und Black Music war nichts weiter als eine Fußnote in der damaligen, deutschen Musiklandschaft aber genau hier setzt „Soulfood“ an – es begann mit kleinen Konzerten und wurde zwischen 1987 und den 1990er Jahren immer bekannter. „Ich erinnere mich gerne daran, als wir nach Jahren unserer sehr erfolgreichen 60s Show, dann Anfang der 90er Jahre die Premiere unserer großen 70s Show hatten. Das war im Theatron im Münchner Olympiapark, in das eigentlich nur bis zu 1800 Leute passten“, erinnert sich Schindel an diesen besonderen Auftritt in dem Amphitheater der bayerischen Hauptstadt, „…aber es kamen ungefähr 6000 Menschen“. Mit dem Erfolg hat die Band nicht gerechnet - Mundpropaganda wird zum TikTok der Zeit.
Ich bin auch öfter als Support Act bei großen Konzerten aufgetreten z.B Johnny Guitar Watson, Supreems oder auch den Temptations, eine alte Soulband, die sich in den 1960ern in Detroit gründete und bis heute aktiv ist. Als wir mit ihnen auftraten, lebte nur noch eines der Gründungsmitglieder, Dennis Edwards. „Er war, und ist heute einer meiner großen Gesangs Idole. Er hat zu unserer Musik mit gegrooved und uns wirklich supported - es war toll, von so einer Größe Anerkennung zu erfahren“, bescheinigt Schindel heute.

Frank Schindel auf einem Foto 1988
Leb' deinen Traum
Bis heute ist die Welt des Animes ein Buch mit sieben Siegel für den Musiker – aber nicht so ganz fremd. „An Pokémon kam selbst ich nicht vorbei – meine Kinder haben die Serie 1999 im Fernsehen gesehen und als sie die CD wollten, habe ich sie selbstverständlich gekauft“, natürlich schwingt die Neugier auf die Menschen mit, die an der deutschen, musikalischen Umsetzung eines japanischen Animes mitgewirkt haben. Der Blick in das Booklet überrascht, und Schindel stellt fest, die Welt ist ein Dorf. „Da standen einige Namen der Münchner Musikszene die mir bekannt waren“. Da es bis dahin wenig ernstzunehmende Rock-Pop Produktionen für Kinder gab, bekam der „Pokémon“–Soundtrack von Frank eine absolute Bestnote. „Die CD besteht aus gut gemachten Songs die sich heute als absolut zeitlos erwiesen haben“.
Der Gedanke an die bunte Welt aus Japan ist schon fast wieder im Gedächtnis-Nirvana verschwunden, als 2000 sein Telefon klingelt - Andy Knote, Produzent zahlloser, deutscher Anime-Hits, ruft bei Schindel an. „Er meinte, er hätte ein neues Projekt, Digimon, und ob ich nicht Lust hätte vorbei zu kommen. Also machten wir einen Termin und ich fuhr hin“. Im Studio sind Melodie und Text fertig – es fehlten der Lead Gesang und die Chöre. Es sollte das erste Mal in der Karriere des Sängers sein, dass er einen deutschen Text singen würde. „Ich war überrascht, denn ich hatte seltsamerweise überhaupt keine Probleme mit dem deutschen Text, es hat super geklappt. Nach nur 1 1/2 Stunden war das Werk im Kasten. Es ist einfach super gelaufen“, lacht Schindel rückblickend bei der Erinnerung. Andy Knote wollte eine neue Stimme für Digimon, und für ihn passte ich perfekt – das Lied war natürlich der erste Digimon Opener „Leb' deinen Traum“.
Handwerk, Japaner und das Ende der ersten Welle
Musik, beschreibt Schindel für sich persönlich als so wichtig wie Essen, Liebe und Atmen- wegnehmen dürfe man es ihm nicht, „… da würde einfach ein großer Teil von mir fehlen“, so der Musiker. Eines der schwierigsten Teile an der Arbeit mit den japanischen Originalen ist für den Produzenten Andy Knote, die Übertragung der japanischen Texte ins Deutsche. Aber auch die Produktion der originalen Playbacks. Da die Plattenfirma zwar die Rechte an der Musik besitzt, nicht aber die Rechte der japanische Studiomusiker, müssen alle Playbacks aufwändig neu produziert werden. Da Andy Knote mit produzieren kaum hinterher kommt, hat Schindel mit seinem Studiopartner; Matthias Borst, angeboten ihn hier zu unterstützen. Oft bekommen sie die Original Songs nur in sehr schlechter Audioqualität, und müssen in stundenlanger/tagelanger Kleinarbeit jedes Instrument, Gitarrenriffs, Bassläufe und Keyboard Sequenzen heraushören um die Playbacks so original wie möglich zu reproduzieren. „Das war aufwändig, aber wir haben sehr viel gelernt, das ist wie bei einem komplizierten Handwerk“, erzählt Schindel. „Am Ende waren es bestimmt 40 Playbacks, die wir für Andy Knote aufgenommen haben“.
„Als dann die Anfrage kommt ob wir denn nicht auch eigene komponierte Titel beisteuern könnten, haben wir sofort zugesagt“, erinnert sich Schindel. „So kam es, dass wir anfingen, auch eigene Songs für die Animes zu komponieren“. „Spiel mit deiner Kraft“ ist der erste Anlauf, „Andi hat ihn gleich begeistert angenommen und hatte scherzhafte Sorge, wir würden ihm den Rang ablaufen“.
Dies ist natürlich eine ganz andere neu kreative Herausforderung mit Eigenkompositionen einen Zugang auf die verschiedenen Anime-Produktionen zu bekommen.„Spiel mit deiner Kraft“ von „Dragonball“ oder „Ich werde wie du“ des Dauerbrenners „One Piece“ sind nur zwei der sechs musikalischen Ergüsse, die Schindel/Borst den Anime-Liebhabern spendierten.
„Ich werde wie du“ ist für viele Fans eine Hommage des Captains der Strohhut-Bande Monkey D. Ruffy an sein Idol, den rothaarigen Shanks – nicht wenige der Liedzeilen sind, wie Fans nach über 1.140 Kapiteln wissen, wahr geworden. Wie Shanks, ist Ruffy nun einer der vier Kaiser der Meere, gefürchtet von Regierung und anderen Piraten. Laut Schöpfer Eichiiro Oda liegt „One Piece“ in den letzten Zügen und Ruffy ist nicht mehr weit vom „One Piece“ entfernt. „Damals habe ich nur das erste Script bekommen und mich eingelesen – ein Strohhut, die Grandline, es war eine vollkommen fremde Welt. Man musste echt aufpassen, was man macht, damit die Fans es nicht zerreißen, aber es hat riesigenSpaß gemacht“, resümiert Schindel seine Arbeit an den ikonischen Klassikern der Anime-Geschichte.
Rückblickend beschreibt Frank Schindel seine Arbeit in der Welt des Anime als schön und aufregend. Sie zieht sich über sechs Jahre durch sein Leben. Wo er sonst viel live arbeitete, wird die Arbeit im Studio für ihn nicht weniger aufregend als ein Auftritt vor tausenden Menschen. „Einige der Anime-Songs die allgemein gesehen in dieser Zeit entstanden sind, sind wirklich sehr cool - sie könnten glatt von „Pur“ sein. Schöne, gut arrangierte Rock/Pop-Songs, die entkoppelt, auch außerhalb der Anime-Fan Industrie viele Hörer gefunden hätten“.
Mit dem Ende der 2000er flaut das Interesse an Animes in Deutschland ab. Es werden keine CDs mehr produziert und die fortschreitende Digitalisierung fördert Raubkopien die die Plattenfirmen zehntausende Verkäufe kosten – und natürlich auch die kleineren Anime-Produktionen hart treffen. Wenn die Verkäufe stagnieren, nehmen die Plattenfirmen kein Geld mehr in die Hand, sind vorsichtiger. Die deutsche Anime-Musik-Produktion kommt langsam aber sicher zum Stillstand.

Auftritt auf der KokoroKon 2025 in Wien
Conventions und die kleine, große Überraschung
Lange hört Frank nichts mehr von den Auswüchsen aus Japan, bis das Ende der Corona-Zeit die Welt aus ihrem Stillstand holt. „Plötzlich habe ich viele Anfragen bekommen – Singen auf privaten Parties, Hochzeiten, Conventions und all die anderen Dinge, die mit Anime zu tun hatten. Verantwortlich für das Revival für uns „alte“ Anime Sänger*innen, ist maßgeblich Anime Allstar Sängerin, Petra Scheeser mit ihrer Tochter Julia.
„Ich selbst habe lange alles abgeblockt“, gesteht Schindel. Sein Studio hat sich schon länger auf neue Bereiche spezialisiert – Post-Produktionen, Werbung und vieles mehr. „Mit konventioneller Musikproduktion ist nicht mehr gut Geld zu verdienen, daher haben wir uns umorientiert“, nebenbei arbeitet er noch als Toningenieur beim Fernsehen, zwei Standbeine wackeln ja bekanntlich nicht so stark.
Es dauert lange, bis Schindel sich dazu durchringen kann, auf einer Convention aufzutreten, immerhin ist er über 20 Jahre dem Anime-Bereich entwachsen. Sein erster Auftritt innerhalb des Fandoms findet auf der KokoroKon 2025 in Wien statt. „Ich war sehr begeistert von der Community – da hat es niemanden interessiert, wie du ausschaust, wen du liebst, wer du bist, und woher du kommst. Es ging rein um die Liebe zur Leidenschaft, das hat mich tief beeindruckt. Jeder lebt, was er ist und liebt, so sollte es überall sein“, resümiert Frank Schindel seine Teilnahme auf der Convention, bei der er eigentlich gar nicht singen wollte – immerhin seien seine Stimmbänder nicht mehr so wie vor 20 Jahren und auch völlig aus der Übung.
„Aber gesungen habe ich dann doch, auch wenn es hier und da für mich ein wenig schwierig war, die Fans haben es dennoch gefeiert“, lächelt er beim Gedanken an diese Erinnerung. Seinen nächsten, großen Auftritt innerhalb der Community hat Frank Schindel auf der Animany/ Anicon Convention, die zwischen dem 9. und 10. August bei Köln -Bonn stattfindet. „Aber dieses mal wird es eine Weltpremiere – sechs der Anime-Sänger*innen der Anfang 2000er und Julia Scheeser werden erstmals zusammen auf der Bühne stehen, darauf freue ich mich sehr, mit Allen dieses Event zu bestreiten“. Tickets sind ab sofort vorbestellbar.

Am 9. und 10. August tritt Frank Schindel live auf.
Eine Botschaft für alle
Franks Kinder sind erwachsen, und Anime spielt in seinem Leben eine eher untergeordnete Rolle, aber die Eindrücke der Kokorokon in Wien bleiben in seinem Herzen. „Die Generation von heute hat es nicht einfach. Ja, wir hatten es in den 70er und 80er Jahren auch nicht leicht, aber heute ist es anders.“, denkt Schindel nach. „Heute gibt es einfach zu viele Fakes und Lügen, Menschen die Hass aussähen und einen Keil in die Gesellschaft treiben wollen. Diese Convention hat mir wirklich Hoffnung gegeben. Die jungen Menschen, die ich dort getroffen habe, waren durch die Bank tolerant, offen und wunderbar friedlich, alle vereint in ihrer großen Begeisterung für ihre Sache und der Liebe zu Anime“, erklärt Schindel nachdrücklich. „Alle, die das hier lesen, bitte hört nie auf, die Dinge zu hinterfragen, nehmt nicht einfach alles als gegeben hin. Es schwirren zu viele kranke Dinge im Netz herum, lasst euch nicht blenden. Prüft, recherchiert und checkt die Fakten“, gerade die Anime-Community erlebt Schindel als stark und liebenswürdig. „Der schlimmste Kommentar den ich auf Social Media für ein Konzertausschnitt, in dem ich etwas schief gesungen habe, bekommen habe, war: Tja, er ist schon alt geworden, aber ich liebe es trotzdem – so sollte es überall sein, denn wir alle sind am Ende des Tages Menschen, die glücklich und friedlich miteinander leben möchten“.
LILI SCHMIRGAL