DER „NOWHERE MAN“ IST ZURÜCK – UND DIESMAL IST ES PERSÖNLICH
Im nunmehr sechsten Teil der „Orphan X“-Reihe muss sich Hauptfigur Evan Smoak nicht nur mit zwei fiesen Killern und gefährlichen Drohnen herumschlagen, sondern sich auch seiner Vergangenheit stellen. Thriller-Fans sollten hier unbedingt ein Auge beziehungsweise ein Ohr riskieren.
Gregg Hurwitz erblickte 1973 im sonnigen San Francisco das Licht der Welt. Nach seinen Abschlüssen in Englisch und Psychologie an den renommierten Universitäten Oxford und Harvard wandte er sich dem Schreiben zu und erweist sich seither als einer der vielseitigsten Autoren überhaupt. Hurwitz veröffentlichte wissenschaftliche Artikel über William Shakespeare, schrieb Filmdrehbücher, beispielsweise für Colin Trevorrows „The Book Of Henry“, und verfasste für Marvel und DC zahlreiche Comics für etablierte Serien, unter anderem für „Batman“, „Punisher“ und „Wolverine“.
Sein bevorzugtes Betätigungsfeld ist jedoch das Verfassen von Romanen. Nach einigen Achtungserfolgen wie „The Tower“ und „Minutes To Burn“ nahm seine Autorenkarriere Anfang der nuller Jahre mit dem Rachethriller „Die Scharfrichter“ richtig Fahrt auf. Die Geschichte um US-Marshal Tim Rackley war international ein großer Erfolg, und so entstanden mit „Die Sekte“, „Die Meute“ und „Der Ausbrecher“ drei weitere Romane um den gebrochenen Gesetzeshüter.
Doch sein (bislang) größter Erfolg sollte schließlich 2016 mit „Orphan X“ beginnen. In diesem lernen wir Evan Smoak kennen. Evan wurde früh zum Waisen. Als Zwölfjähriger wurde er von der amerikanischen Regierung für ein geheimes Programm angeworben. Im sogenannten Orphan-Programm werden junge Menschen ohne persönliche Bindungen zu hocheffizienten Killern ausgebildet. Nachdem Evan einige Jahre lang in inoffiziellen Operationen die Drecksarbeit für die Regierungübernommen hat, steigt er jedoch aus und versteckt sich. Nun lebt er in einem noblen Wohnblock in L.A. und verdient sein Einkommen offiziell als Verkäufer von Industriereinigern. Tatsächlich arbeitet er allerdings immer noch in dem Job, den er gelernt hat: als „Nowhere Man“ versucht er, für seine Gräueltaten Buße zu tun und hilft nun Menschen, die mit ihren Problemen nicht zur Polizei gehen können. Doch niemand kann sich dauerhaft vor der Regierung verstecken ...
In den folgenden Bänden muss er es mit einigen gefährlichen Kriminellen aufnehmen, und vor allem mit der Regierung, für die Evan ein unkalkulierbares Risiko darstellt. Im fünften Band „Das Vermächtnis der Orphans“ scheint sich das Blatt für den „Nowhere Man“ zu wenden, denn mit dem Verschwinden des Orphans-Schöpfers scheint sein Leid vorbei. Ein letzter Fall soll es sein, und dann ist endgültig Schluss, und Evan hängt seine Laufbahn als „Nowhere Man“ an den Nagel. Doch ist das wirklich das Ende?
Nein, denn in DER VERLORENE SOHN reißt ihn ein merkwürdiger Anruf aus seinem normalen Leben. Eine Frau behauptet, sie wäre seine Mutter und würde seine Hilfe brauchen. Evan soll jemanden beschützen, der Zeuge eines Mordes wurde. Der Fall führt ihn auf die Super von gefährlichen Hightech-Drohnen – und vor allem in die eigene Vergangenheit auf die SPUR von gefährlichen Hightech-Drohnen.
DER VERLORENE SOHN ist definitiv ein besonderer Teil innerhalb der Reihe, denn Gregg Hurwitz kombiniert seine Thriller-Handlung mit zahlreichen Rückblicken auf Evans dramatische Kindheit, die einige Lücken schließen. Gleichzeitig kommt natürlich die Action nicht zu kurz, und hier erweist sich Hurwitz wie üblich als Meister seines Fachs.
Wer die Geschichte lieber hört, kann sich auf das im April erscheinende Hörausgabe freuen. Gelesen wird es, wie bei den vorherigen Bänden auch, von Stefan Lehnen, den Hörbuchfans unter anderem aus der „Der dunkle Kristall“-Reihe kennen. Lehnen begeistert wie gewohnt durch eine erstklassige Stimmarbeit und bringt die Geschichte mit voller Erzählstimme und perfektem Gespür auf die Tonspur.
Für Fans der Reihe sollte DER VERLORENE SOHN ohnehin Pflicht sein. Neulesern ist zwar durchaus angeraten, mit „Orphan X“ zu beginnen, die Geschichte ist jedoch so konzipiert, dass man sie auch ohne Probleme für sich lesen kann. Egal, wie man in diese Reihe einsteigt ... eines ist todsicher: Bei dem einen Buch wird es nicht bleiben, allein schon deshalb, weil Hurwitz die Geschichte mit einem fiesen Cliffhanger enden lässt, der einen bis zum kommenden siebten Teil in Atem hält.
FLORIAN TRITSCH