Zum Hauptinhalt springen

eier05

Metroid – 1986, NES

Kurzes Nerd-Quiz: Wer mit den folgenden drei Dingen etwas anfangen kann, ist entweder in Sachen Easter Eggs sattelfest oder hat in Spielen früher gerne gecheated: JUSTIN BAILEY, xyzzy, Oben Oben Unten Unten Links Rechts Links Rechts B A Start. Alle drei Eingaben sind Cheatcodes und haben sich seit ihrem ersten Auftreten (in obiger Reihenfolge: METROID, 1986; COLOSSAL CAVE ADVENTURE, 1976; GRADIUS, 1985) in der Gamer-Kultur etabliert und werden in unzähligen Videospielen und anderen Medien wiederverwendet, zitiert, parodiert – und versteckt. Die Bandbreite von Easter Eggs ist dabei stetig gewachsen, von einfachen Textbotschaften oder Cheatcodes zu Anspielungen oder Zitaten aus anderen Spielen. So findet man etwa ein Leuchtfeuer aus DARK SOULS in einer Map aus OVERWATCH oder in einer schwer zugänglichen Höhle in THE WITCHER III wieder. Andere Spiele sind doppelt augenzwinkernd und spielen mit dem Easter Egg-Konzept. Besonders die GTA-Reihe hat den Schalk im Nacken, wenn sie in einem unscheinbaren Fenster ein buchstäbliches Osterei versteckt (GTA: VICE CITY) oder die Spieler, die mit dem Jetpack auf die Spitze der Golden Gate Bridge fliegen, nicht belohnt, sondern abstraft mit einer eingravierten Botschaft: “There are no Easter Eggs up here. Go away.” (GTA: SAN ANDREAS).

Das einzige Problem dabei: Easter Eggs werden inzwischen erwartet und findige Spieler entdecken Geheimnisse innerhalb von Stunden, was Easter Eggs zu einer wetteifernden Jagd auf Zeit macht und den geduldigeren Zockern die Euphorie am Entdecken nimmt. Und wenn die Easter Eggs nicht durchs Spielen aufgedeckt werden, dann wird der Quellcode danach abgegrast – sehr zum Verdruss von Entwicklern wie Edmund McMillen, der im Remake THE BINDING OF ISAAC: REBIRTH eine freischaltbare Figur, “The Lost”, versteckt hat, deren bloße Existenz nur durch wiederholtes Spielen, Aufmerksamkeit und sehr viel Glück überhaupt erst angedeutet wurde. Spieler entdeckten „The Lost“ stattdessen im Quellcode innerhalb der ersten Release-Woche und ein Wiki listete die arbiträr anmutenden Schritte im Einzelnen auf, um die Figur freizuschalten. Die Zockergemeinde scheint inzwischen mehr an der 100%-Trophäe interessiert zu sein als an Mysterien. Und dennoch existieren sie, die großen Geheimnisse der Spielewelt, und einige davon wurden fast nicht entdeckt. 


eier04

Adventure – 1979, Atari

Easter Eggs, Vol. 2: Eine Zeitreise zurück zum ersten versteckten Bonus

Den Anfang macht die Diskussion um das allererste Easter Egg in einem Videospiel. Lange wurde angenommen, das Atari-Spiel ADVENTURE von 1979 sei das erste Easter Egg – auf jeden Fall stammt der Begriff “Easter Egg” aus der Diskussion um den geheimen Screen von ADVENTURE. Bewegen die Spieler an einer bestimmten Stelle ihre Figur zu einem bestimmten Pixel, erscheint ein Bildschirmtext: “Created by Warren Robinett”. Damals war es noch nicht üblich, die Entwickler eines Spiels mit einem Vor- oder Abspann zu würdigen – Mr. Robinett fand das ungerecht und programmierte seinen Namen heimlich ein. Das erste Easter Egg war geboren – oder etwa nicht? 

2017 fand der ehemalige Xbox-Entwickler Ed Fries heraus, dass Programmierer Ron Milner im Jahr 1977 eine versteckte Botschaft im Spiel STARSHIP 1 einbaute – wie Robinett arbeitete Milner damals bei Atari. Laut dem Programmierer baute er die Botschaft “Hi, Ron!” ein, die Spielern zehn Extraleben brachte. Nur wusste er nicht mehr, wie man die Botschaft triggert, was Ed Fries zum Anlass nahm, der Sache auf den Grund zu gehen, eine original Arcade-Maschine von STARSHIP 1 zu erwerben, und siehe da: Nach vielem Experimentieren grüßte Ed ein “Hi, Ron!” vom angestaubten Monitor. In diesen 40 Jahren war das Easter Egg nur Ron bekannt, heute aber gilt es als eines der frühesten bekannten Vorkommnisse.

Nun war die Atari-Ära der Videospiele aber einige Jahrzehnte vor dem Internet-Zeitalter, das Zockern eine Masse an Walkthroughs, Foren und Guides anbietet. Doch auch Spiele aus jüngerer Zeit haben noch Geheimnisse, die auch die kumulativen Anstrengungen von Millionen vernetzten Spielern nicht hervorzubringen vermochten. Man möchte meinen, ein Spiel wie BATMAN: ARKHAM ASYLUM von 2009 findet genug Fans, um jeden Stein in der Spielwelt zwei Mal umzudrehen. Doch als Entwickler Rocksteady zwei Jahre später das Sequel ARKHAM CITY ankündigte, zeigte das Team einen Raum in ARKHAM ASYLUM, den nicht ein einziger Spieler in diesen zwei Jahren gefunden hatte. In diesem Raum: Baupläne für Arkham City, den Schauplatz des Sequels. 

Für Entwickler Rocksteady ist das zugleich ärgerlich und erfreulich, denn der Hype um das mögliche Sequel blieb bis zur Ankündigung aus. Aber wie oft kommt es schon vor, dass ein Entwickler seine Millionen Spieler übertrumpft? Wie sich heraus stellt: Häufiger, als gedacht. Denn auch ARKHAM CITY hatte Easter Eggs, die Rockstar ganze drei Jahre später selbst lüften musste. Dieses Mal war es kein geheimer Raum, sondern Botschaften von Batmans Widersacher Calendar Man, die nur an ganz bestimmten Tagen des Jahres freigeschaltet wurden – das Spiel prüfte dabei die System-Uhr der Konsole oder des PCs. Die System-Uhr vordrehen: Ein alter Trick, der beispielsweise bei METAL GEAR SOLID 3: SNAKE EATER schon dazu führte, dass ein Boss an Altersschwäche stirbt. Da Bösewicht Calendar Man an Feiertagen mordet, werden einige Batman-Fans den Trick durchschaut haben, aber keiner kam auf die Idee, das Gründungsdatum des Entwicklerteams auszuprobieren – denn Calendar Man’s Botschaft an diesem Tag teaserte den Nachfolger von ARKHAM CITY an: ARKHAM KNIGHT.

_____


eier02

Resident Evil 2 – 1998, PC, PS One, N64

Easter Eggs, Vol. 3: Fast zu gut versteckt, um jemals gefunden zu werden

Auch Nintendos Klassiker besitzen einige dunkle Ecken, die fast für immer dunkel blieben. THE LEGEND OF ZELDA: A LINK TO THE PAST,eines der beliebtesten Spiele überhaupt, hat einem Fan namens Chris Houlihan einen Raum voll mit Rubinen gewidmet, der erst volle zwölf Jahre später bekannt wurde. 

Für Speedrunner interessant ist ein Easter Egg aus dem Original-PUNCH-OUT!!für das Nintendo Entertainment System von 1987. Viele der Angriffe des Gegenübers in diesem klassischen Box-Spiel lassen sich häufig nur vorausahnen bei genauer Kenntnis der Animationen und Soundeffekte. 2009 lüftete der damalige Nintendo-Präsident Satoru Iwata ein lange gehütetes Geheimnis: Im Hintergrund in den Zuschauerreihen befindet sich während eines Kampfes ein Fotograf, dessen Blitzlicht in genau dem Moment aufblitzt, in dem zugeschlagen werden muss. Sechs Jahre später entdeckten Speedrunner dann einen weiteren Hinweis in einem anderen Match im Spiel – ein sich duckender Zuschauer im Hintergrund verrät wieder den exakten Frame, um die richtige Taste zu drücken.

Andere lang verborgene Easter Eggs sind derart obskur, dass man sich fragen möchte, wie sie überhaupt ans Tageslicht gelangt sind. Eine Nebenquest in FINAL FANTASY IX wurde ganze 13 Jahre nach Ersterscheinung entdeckt und erfordert das wiederholte Aufsuchen desselben Ortes, der zum Zeitpunkt, an dem die Quest verfügbar wird, keine Relevanz für die Handlung besitzt. Ähnlich unbekannt war lange Zeit ein Foto von RESIDENT EVIL-Charakter Rebecca Chambers, welches nur dann in den Besitz der Spieler gelangt, nachdem sie Albert Weskers Schreibtisch im zweiten Teil fünfzig (!) Mal in Folge untersuchen. 


eier01

Trials: Evolution – 2012, PC, Xbox 360

Easter Eggs, Vol. 4: Von Morse-Codes und großen Denkern

Völlig übertrieben mit der Ostereier-Suche hat es Anttil Ilvessuo, Creative Director von TRIALS: EVOLUTION. Im Spiel findet man Holzlatten, die, wenn sie zusammengelegt sind, eine geheime Botschaft enthalten, die entschlüsselt werden muss. Eine leichte Übung für die Community. Die entschlüsselte Botschaft verspricht eine neue Sounddatei, die bei einem richtig ausgeführten, äußerst komplexen Trick abgespielt wird. Sieht man sich diese Sounddatei in einem Spektrometer an, findet man einen Morse-Code, der auf eine Webseite führt. Diese Webseite enthält 26 Bilder, die nach einigem Überlegen der Online-Detektive alle auf einen Wissenschaftler oder anderen großen Denker verweisen. Deren Anfangsbuchstaben ergeben ein Alphabet, welches die letzte Botschaft der Webseite verrät. Diese letzte Botschaft sind vier Koordinaten, die nach San Francisco, Bath, Helsinki und Sydney führen. An diesen vier real existierenden Koordinaten befanden sich real existierende Kisten mit Schlüsseln und einer letzten Botschaft: Einer dieser Schlüssel wird im Jahr 2113 eine Kiste unter dem Eiffelturm öffnen. Ilvessuo sei es laut eines Interviews sehr ernst damit und er habe Schritte veranlasst, die diese Kiste in etwas weniger als 100 Jahren tatsächlich dort hinbefördern werden. Was diese wahnsinnige Schnitzeljagd mit einem Spiel über Motorrad-Stunts zu tun hat – und ob es überhaupt noch ein Easter Egg ist – weiß wohl nur Ilvessuo selbst. Fest steht, dass dieses Geheimnis für alle, die diese Zeilen lesen, für immer ungelöst bleiben wird.

Easter Eggs in Videospielen haben sich mit dem Medium weiter entwickelt. Aus den versteckten Tastenkombinationen und Passwörtern von früher sind groß angelegte und beinahe unmöglich im Alleingang zu entziffernde Rätsel geworden. Einige von ihnen sind Marketingstunts, andere sind so eigenartig, dass sie auch nach ihrer Entdeckung zwei Fragen aufwerfen: Wer hat sich das ausgedacht? Und: Wer hat das heraus gefunden? Für jedes dieser lange unentdeckten Easter Eggs existiert mindestens ein weiteres, welches noch nicht gefunden wurde. 

Ein desillusionierter Entwickler wie Edmund McMillen, dessen großes Easter Egg nach einigen Tagen kein Geheimnis mehr war, kann also aufatmen: Es gibt noch Mysterien in der Welt der Videospiele. Sie müssen nur gut genug verborgen sein.

OLIVER MOISICH

 

eier03

GTA: San Andreas – 2004, PC, PS2, Xbox