Ein Leben für die Passion
Ein Leben ohne die Fesseln des Adels, ohne Verpflichtungen gegenüber der Familie – das junge Mädchen Arte sucht im 16. Jahrhundert, als es um Frauenrechte noch nicht besonders gut bestellt war, nach einem Weg, ein eigenständiges Leben zu führen. Mangaka Kei Ohkubo entführt Liebhaber von Geschichte und Romanzen mit künstlerischer Präzision ins italienische Florenz.
Arte wächst als Tochter der wohlhabenden Familie Spalletti auf. Sehr zum Missfallen ihrer Mutter liebt sie die Malerei, Kunst – und generell einen alternativen Lebensstil. Zum Schock ihrer Kammerzofe entblößt sie sogar die Beine, als sie dabei ist, einen Vogel auf dem Fensterbrett zu zeichnen. Einzig ihr verstorbener Vater unterstützt ihre Leidenschaft: Er organisiert ihr Lehrer und Material, abseits vom üblichen Unterricht für junge Damen – sehr zum Unmut ihrer Mutter.
Nicht nur steht die Familie nach dem Tod des Vaters finanziell schlecht da – Arte weigert sich auch, eine Zweckehe einzugehen, nur um den Wohlstand des Hauses zu sichern. Als ihre Mutter ihre Kunstwerke kurzerhand verbrennt, festigt das ihren Entschluss: Arte zieht los, um bei einem der vielen Künstler der Stadt in die Lehre zu gehen – doch alle lehnen sie wegen ihres Geschlechts ab.
Erst der mürrische Künstler Leo, der eigentlich dafür bekannt ist, allein zu arbeiten, gibt ihr eine Chance – nachdem sie für ihn in kürzester Zeit eine schier unmögliche Zahl an Malgründen vorbereitet hat.
Leo behandelt Arte gleichwertig, überträgt ihr schwere körperliche Arbeiten und lässt sie handwerkliche Aufgaben im Haushalt übernehmen. Trotz aller Widrigkeiten ist Arte glücklich – und umso motivierter, ihrem selbst gewählten Weg zu folgen. Auch wenn sie hier und da hadert, bleibt Leo bei seiner Entscheidung und überlässt ihr sogar einen ersten Auftrag: ein Porträt für seine Stammkundin, die Kurtisane Veronica. Diese lehrt Arte nicht nur Selbstbewusstsein, sondern auch, ihre Gefühle nicht zu verdrängen.
Wunderschönes Florenz
Historisch zeichnet ARTE ein lebendiges Bild vom Leben der Frauen in einer Zeit, in der Kirche und Gesellschaft das Frauenbild prägten: Entweder sündig oder auf dem Weg zur jungfräulichen Madonna. Die Reformation propagiert Gleichstellung vor Gott – doch gesellschaftlich und rechtlich ändert sich für Frauen kaum etwas. Auch Arte spürt diese Ablehnung. Männer weisen sie zurück, ihre Mutter hasst ihre Träume.
Frauen sollen Kinder gebären, den Haushalt führen und ihrem Mann eine gute Ehefrau sein – wer mehr will, trifft auf Widerstand. Kein Wunder, dass aus dieser Zeit mehr Schriften über Männer existieren als über Frauen. Selbst Luther nennt seinen Vater als entscheidende Figur in seinem Leben – seine Mutter erwähnt er mit keinem Wort. Bildung für Frauen? Undenkbar. Satiriker wie Erasmus von Rotterdam formulieren es drastisch: „Zum Ochsen schickt sich kein Sattel und zu einer Frau keine Bücher – gebildet zu sein, das ist nicht weiblich.“
Doch ARTE zeigt, dass gebildete Frauen sehr wohl ihre Träume verwirklichen können – dass sie ebenso würdig, talentiert und mutig sind wie ihre männlichen Kollegen. Und auch wenn seither Jahrhunderte vergangen sind, ist der Kampf um Selbstbestimmung für viele Frauen bis heute nicht vorbei. Gewalt und Unterdrückung nehmen wieder zu – umso wichtiger sind Werke wie Arte, die Frauen nicht auf Haushalt und Mutterschaft reduzieren, sondern als freie Menschen mit Träumen, Wünschen und Ideen zeigen.

Band 20 soll am 26. Januar 2026 erscheinen.
Ein Manga wie ein Gemälde
Eine weitere Besonderheit des Mangas sind die Zeichnungen selbst: Sie erinnern an Gemälde der Renaissance – eben jener Epoche, in der Arte spielt. Detailreiche Bilder zeigen das alte Florenz in architektonischer Pracht und veranschaulichen sogar Standesunterschiede durch Kleidung – von schlichter Bauerntracht bis zur aufwendig verzierten Adelsrobe. Kei Ohkubo spart nicht mit Details: Alles ist handgezeichnet. Ein Comic-Strip am Ende des ersten Bandes zeigt, wie er mit Rasterfolie, Tusche und Feder arbeitet. Die feine Linienführung und der gezielte Einsatz verschiedener Folien machen ARTE zu einem echten Erlebnis für Kopf und Augen.
Derzeit sind 19 Bände bei Carlsen erhältlich, Band 20 erscheint voraussichtlich im Januar 2026. Die Thematik ist ebenso wenig veraltet wie die sich entwickelnde Beziehung zwischen Leo und Arte – ein bewegender Manga über Liebe, Aufbruch und das Streben nach einem selbstbestimmten Leben jenseits von Unterdrückung, Konvention und Pflicht.
LILI SCHMIRGAL

Autor: Kei Ohkubo
Seiten: 194 Seiten
Bände: 19+
Verlag: Carlsen
Datum Erstveröffentlichung: 25. Oktober 2013