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Bunt, vielfältig und zuweilen etwas frech: Die kultige "Heilige Schrift" des Chaos Cmputer Club wird fortgesetzt.

Chaos Computer Club – in dieser Bezeichnung steckt schon schon die pure Anarchie. Das passt zu den (nicht unwahren) Klischeevorstellungen eines nerdigen Lebensstils mit durchprogrammierten Nächten und Fachgesprächen zu Softwarefehlern. Aber ein wenig spießig ist der Verein dann doch. Es gibt eine (unregelmäßig erscheinende) Mitgliederzeitschrift namens „Datenschleuder“ sowie zwei „Hackerbibeln“, die 1985 und 1988 mit Beiträgen der Redaktion – unter anderem mit der Bauanleitung für ein „Datenklo“ und zu erfolgreichen Hacks – erschienen sind. Die Textsammlungen erfreuten sich großer Beliebtheit, so dass schon 1992 eine dritte „Heilige Schrift“ mit 250 Seiten im A4-Format angekündigt, aber nie veröffentlicht wurde. Bis jetzt.

Zugegeben: die HACKBIBEL³ – und ja, der genderneutrale Titel ist gewollt – weist vom Umfang her 26 Seiten weniger auf als ursprünglich angedacht, doch dafür ist aus dem vorliegenden Buch ein echtes Schmuckstück geworden. Der Katapult-Verlag hat den inhaltlich sehr diversen Textbeiträgen, die von CCC-Beteiligten stammen, ein leichtfüßiges und erfrischendes Layout mit kräftigen, strahlenden Farben verpasst. Das lässt dann auch über einige ermüdend breit ausgewalzte Beiträge hinwegsehen, die besonders im schwammigen, „Alles für den Club“ betitelten Teil anzutreffen sind. Über 12 Seiten wird die Geschichte der weiblichen Club-Mitglieder („Haecksen“) erzählt, die sich im stark männlich geprägten CCC gegen Sexismus behaupten und für die Anerkennung eines eigenen Raums auf den Vereinskongressen kämpfen mussten. Auch acht Seiten zum Sinn und Unsinn einer weiteren Hack(er)bibel hätte es bei einer Verdichtung der vorgetragenen Argumente drei Beteiligter nicht gebraucht, die sich dazu auf dem EasterHegg 2023 austauschten. Ein Essay zu verschiedenen ethischen Ansätzen in Technologiedebatten ist da wesentlich tiefschürfender. 



Aus ihrem Alltag und „Rainbowwashing“ berichtet eine FLINTA*-Person im „Kultur“-Kapitel, deren knallhartes Sternchen-Gendern absurde Züge trägt (Zitat: „Ich sehe meine Partner*in und rufe: »Ach, endlich wieder normale Leute!«.“). Nerds kommen zum einzig wahren Rezept des „Tschunk“ (heißt: Club Mate-Longdrink, siehe Foto) zu Wort und auch eine im Programmzeitschrift-Stil aufgemachte Übersicht mit Hacker-Filmen fehlt nicht, die neben dem Realitäts-Check auch dem Bechdel-Test (Frauen-Anteil und -kommunikation) unterzogen werden. Unbedingt erwähnenswert sind noch ein Guide zum juristisch heiklen Melden von Sicherheitslücken auf Websites im „Hackings“-Ressort und – als eines von mehreren Kuriosa – eine Nähanleitung für einen Pinguin (!) im erfrischend frechen „Interaktivteil“. 

Warum auch nicht? Der Chaos Computer Club lebt schließlich vom Mitmachen und vom (auch politischen) Aktivismus. Das lehrt auch die HACKBIBEL³ als kunterbuntes, immer wieder überraschendes Sammelsurium, das es mit seinen vielen Denkanstößen und einer guten Portion anarchischem Humor zu entdecken gilt. Apropos: Hier könnt ihr euch einmal umschauen.

LUTZ GRANERT

Titel: HACKBIBEL³
Verlag: Katapult
Autor: Chaos Computer Club (Hrsg.)
Seitenzahl: 224