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Der liebevolle Tod

Jenny Jinya hat mit ihrem Comic-Projekt LOVING REAPER weltweit Millionen von Menschen berührt. Ihre Geschichten über Tiere, die Vernachlässigung, Missbrauch oder das Ende ihres Lebens erfahren, sind traurig, aber auch hoffnungsvoll. Nun erscheint der Comic endlich auf Deutsch.

Der ursprünglich als Webcomic gestartete LOVING REAPER erzählt kurze, bewegende Geschichten über Tiere, die oft am Rande der Gesellschaft stehen – ausgesetzte Hunde, vernachlässigte Heimtiere oder übersehene Tierheiminsassen. Die Comics zeigen nicht nur ihr Schicksal, sondern auch, wie Mitgefühl und Verantwortung Leben verändern können. Dies übernimmt hier jemand, den man dafür erst mal gar nicht auf dem Schirm für seine Rolle hat – der Tod persönlich. 

Der Tod ist hier nicht der Feind oder der zynische Beobachter, sondern der Begleiter, der den Tieren einen würdigen Abschied ermöglicht und sich um sie kümmert. Jenny Jinya, die hier für Text und Zeichnungen verantwortlich war, schafft eindeutig mehr als nur reine Unterhaltung – sie rüttelt auf, berührt und regt zum Nachdenken an. Ihre Geschichten treffen mitten ins Herz, ohne dabei jemals aufgesetzt zu wirken. Mit klaren Linien und einer tiefen Botschaft verbindet sie Ästhetik und Aktivismus. Doch wie entsteht solch ein Werk? Und was treibt die Künstlerin an, sich immer wieder den schweren Themen des Lebens zu widmen? Im Interview gibt uns die Comic-Künstlerin spannende Einblicke in ihre Arbeit, ihre Inspirationen und ihre Pläne für die Zukunft.

Du hast in Australien, Japan und Deutschland gelebt und studiert. Wie haben diese Erfahrungen deine künstlerische Perspektive geprägt?

Schon sehr. In Japan haben zum Beispiel Mangas einen ganz anderen kulturellen und gesellschaftlichen Stellenwert als in Deutschland. In Australien habe ich in Fächern wie Animation und Game Art extrem viel dazugelernt. Jedes Land ist eine neue Welt der Inspirationen, aber zum Glück nicht zwingend nötig, um kreativ sein. Ich hatte damals verschiedene Stipendien und Förderprogramme, sonst wäre das für mich auch gar nicht möglich gewesen. Aber auch so was verändert die Perspektive auf viele Dinge.

Gibt es andere Künstler*innen, die dich inspiriert haben oder deren Arbeit du bewunderst?

Bewundern tu ich etliche, künstlerisch inspirieren tun mich zum Beispiel Leute wie Hayao Miyazaki (Ghibli) – kennt man, besonders durch die Liebe zu den Details, wie Natur dargestellt wird. Musikalisch schätze ich die Tiefe und Melancholie von Keaton Henson oder Lolly Jane Blue. Die Arbeiten von Sil van der Woerd auch, besonders „Requiem 2019“ hat mich wirklich getroffen.

Einer breiten Öffentlichkeit wurdest du mit deinem Beitrag zu DER WICHTIGSTE COMIC DER WELT – GESCHICHTEN ZUR RETTUNG DES PLANETEN bekannt. Was war was für ein Gefühl, deine Geschichte neben denen großer Weltstarts zu präsentieren?

Mehr oder weniger bekannt waren meine Comics schon vor dem Buch, nur deswegen wurde man überhaupt auf mich aufmerksam. Trotzdem kam das Angebot einem Ritterschlag gleich! Als ich die erste Mail mit dem Angebot bekam, in der die ersten Stars aufgelistet waren, dachte ich zuerst, es wäre Spam. Es ist irre, in einem Buch vertreten zu sein, in dem auch Leute wie Ricky Gervais, Yoko Ono, Jane Goodall und alle anderen Wahnsinnskünstler, die man schon Jahre lang im Internet bewundert hat, mitgewirkt haben. Eine unglaubliche Ehre!

Auch für den Comic DER WICHTIGSTE COMIC DER WELT – GESCHICHTEN ZUR RETTUNG DES PLANETEN steuerte Jenny zwei Kapitel bei.

Was hat dich dazu inspiriert, LOVING REAPER zu erschaffen? Gab es ein bestimmtes Erlebnis oder einen Auslöser?

Seit meiner Kindheit versuche ich, mich für Tiere einzusetzen. Früher hab ich verletzte Vögel und Igel eingesammelt, später habe ich versucht, mich im Internet nützlich zu machen. Es hat mich da schon immer hingezogen, aber es ist frustrierend. Die Politik macht nicht viel, und die meisten Menschen interessiert es nicht besonders. Aber Grausamkeit gegenüber Tieren passiert überall auf der Welt, jede Sekunde, so unfassbar schreckliche Dinge. Eines Nachmittags saß ich dann da, versunken in Weltschmerz, nur eine kleine Studentin, kein Geld, kein Publikum, keine Möglichkeit sich einzubringen. Im Internet lese ich einen Artikel wie viele Haustiere jedes Jahr ausgesetzt werden und elendig erfrieren oder verhungern, Tiere, die keinen einzigen Tag in ihren kurzen Leben glücklich sein durften. Wenn das Leben für so viele Tiere die Hölle ist, ist hoffentlich wenigstens der Tod nett zu ihnen.

Ich zeichne also diesen einen kurzen Comic, ein Einseiter. Der ging schlagartig viral, und so viele Menschen konnten meinen Schmerz irgendwie nachfühlen. LOVING REAPER war geboren.

Deine Comics thematisieren schwierige, oft traurige Themen wie Vernachlässigung und Missbrauch von Tieren. Wie gehst du emotional damit um, solche Geschichten zu zeichnen?

Nicht so gut wie anfangs gedacht. Ich dachte, ich hätte schon alles gesehen, ich schaff das, das ist meine Chance, was zu verändern! Das halte ich aus! Aber es hat nur dazu geführt, dass sich noch mehr Türen zu noch schrecklicheren Realitäten geöffnet haben. Ich habe Dinge gesehen, die ich nie wieder vergessen werde. Ich würde gerne sagen, man stumpft ab, aber es ist nicht so. Die Realität findet nur neue Stellen in deinem Herzen, in die sie noch nicht reingetreten hat. Ich weiß, das klingt dramatisch, aber es ist wirklich unfassbar, was man findet.

Wie hast du die Figur des Tod entwickelt? 

Die Figur an sich gab es ja schon. Ein Skelett mit schwarzer Kutte und Sichel ist seit den Pestepidemien im 14. Jahrhundert so dargestellt worden. Ich denke, das Bild hat sich einfach etabliert und wurde ja auch schon von vielen Künstlern in ihren Werken benutzt. Gerade weil man sofort weiß, worum es geht, habe ich dieses Figur gewählt. Wie gesagt, sollte er nur freundlicher und empathischer sein als viele Menschen. Sehr oft wird der Sensenmann ja als gruselig und strafend dargestellt, aber warum eigentlich? Und weshalb sollte er so gegenüber Tieren auftreten? Er sollte etwas Väterliches und Liebevolles haben. Alles, was sie verdient hätten und vielleicht nie erfahren haben.

Wie denkst du über die Rolle von Kunst, um auf solche Missstände aufmerksam zu machen?

In Zeiten von TikTok, Instagram und Facebook finde ich solche künstlerischen Umsetzungen sehr praktisch. Die Menschen teilen diese Dinge, liken sie, speichern sie, markieren ihre Freunde etc. Wenn es einen Nerv trifft, kann man damit extrem viele Menschen erreichen. Ich bin natürlich weder die Erste noch die Einzige, der das aufgefallen ist und die es für sich genutzt hat. Auf soziale Medien wird viel geschimpft, oft auch zu Recht, aber es wurden etliche Spenden für Tiere (und Menschen) gesammelt, die anders vielleicht gar nicht so viele Menschen erreicht hätten.

Auf welche Projekte dürfen wir uns in Zukunft freuen?

Viele, hoffe ich! Nicht nur für LOVING REAPER habe ich noch viele Ideen, sondern auch für andere Geschichten und Charaktere. Wer aufmerksam ist, findet vielleicht noch weitere Projekte von mir.

FLORIAN TRITSCH

Titel: THE LOVING REAPER
Autorin: Jenny Jinya 
Verlag: Panini
Seiten: 230
Erscheinungsdatum: veröffentlicht

 

 

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