Geteilt und doch eine Einheit
Fragmentierte Bildschirmansichten sind inzwischen Alltag: Der Medienwissenschaftler Malte Hagener legte kürzlich eine Monografie zum Splitscreen vor, die (nicht nur) durch die komplette Filmgeschichte führt.
Im Sommersemester 2006 besuchte ich als Student der Medienwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ein Seminar mit dem Titel: „Split Screen – Split Story“. Der Dozent war damals ein Postdoktorand, der in der Lehrveranstaltung den Einsatz geteilter Bilder als visuelles Stilmittel unter die Lupe nahm: Malte Hagener. Mit dem Seminar waren Screenings verbunden, in denen u.a. Mike Figgis’ konsequent in vier Bildkadern erzähltes Filmexperiment „Timecode“ (2000) und Ang Lees mit der fragmentierten Panel-Ästhetik von Comics kokettierender „Hulk“ (2003) gezeigt wurden. Das Thema ließ den gebürtigen Hamburger nicht los: Nach einigen Aufsätzen in Fachpublikationen legte er nun, 18 Jahre später und inzwischen Professor für Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg, die Monografie SPLITSCREEN – DAS GETEILTE BILD ALS SYMBOLISCHE FORM IN FILM UND ANDEREN MEDIEN im Verlag Bertz und Fischer vor.
Hagener nimmt sich dabei einen kursorischen Abriss der Filmgeschichte im Hinblick auf die Verwendung des titelgebenden Stilmittels vor, nachdem er eine in der Medienwissenschaft scheinbar unvermeidbare (und entsprechend ermüdend paradigmatische) Diskussion um Medien- Definition hinter sich gelassen hat. Kurz zusammengefasst sind seinen Ausführungen zufolge Splitscreens bis in die 1910er Jahre vieldeutig in Anbetracht der Experimentierfreude im neuen Medium Film. Das gestaltete sich von den 1920er bis in die 1950er Jahre anders: Als keineswegs etabliertes, nur selten eingesetztes Stilmittel benötigten Split Screens noch eine doppelte (narrative) Motivation – was sich in ihrer Verwendung bei Telefongesprächen niederschlägt. „Bettgeflüster“ (1959) wird hierbei als zentrales Beispiel angeführt, ließen Hollywoods Komödien in der Zeit doch „ein besonderes, nämlich reflexives, Verhältnis zu seinen eigenen Gestaltungsmitteln“ (61) erkennen.
Erst in den 1960er bis 1980er Jahren kam es zur Hochphase des Splitscreen-Einsatzes, insbesondere zum Austesten der Grenzen für komplexe Erzähltechniken und zur Überwindung der klassischen Montage, welche zeitliche Abläufe staffelt – wie in „Grand Prix“ (1966) von John Frankenheimer. Mit den Filmen Brian De Palmas, der mit Splitscreens auf die Medienrezeption und mediale Überwachung selbst referiert (Beispiele hier: „Dressed to Kill“, 1980, oder „Blow Out“, 1981), leitet Hagener dann über in die ausgehenden 90er Jahre und damit auch in die digitalisierte Gegenwart. Splitscreens sind heute in Videokonferenzen, die das Bild mit Konterfeis der Teilnehmer in Kacheln aufteilen, selbstverständlicher Alltagsbestandteil geworden. Entsprechend lohnenswert ist es, dass der umsichtige Filmwissenschaftler mit profunden Denkanstößen über seine Teildisziplin hinausweist: Walter Benjamin, Ernst Cassirer, Gilles Deleuze oder Niklas Luhmann finden sich in den Fußnoten; auch dem Einfluss von Installationen auf Weltausstellungen, die auf geteilte Bilder setzten, widmete er ein Kapitel.
Ein kurzer Schlenker zum postmodernen Kino der Zitate eines Quentin Tarantino („Jackie Brown“, 1997 wird auf den Seiten 191/192 behandelt) fehlt nicht. Allerdings erschließt sich nicht, warum Hagener sonst die Zuschreibung „Moderne“ (als neue Standards setzender Epochenbegriff, der sich zeitlich recht klar mit dem Siegeszug des New Hollywoods Ende der 60er Jahre verbinden ließe) tunlichst vermeidet und stattdessen etwas zaghaft vom „postklassischen Kino“ schreibt. Das ist aber kein Vorwurf: SPLITSCREEN – DAS GETEILTE BILD ALS SYMBOLISCHE FORM IN FILM UND ANDEREN MEDIEN ist ein auch sprachlich weitestgehend zugängliches filmwissenschaftliches Sachbuch, welches gerade durch seine zahlreichen Filmbeispiele überzeugt, bei denen anhand tiefschürfender Analysen neue Sichtweisen auf das titelgebende filmische Gestaltungsmittel eröffnet werden.
LUTZ GRANERT
Titel: SPLITSCREEN – DAS GETEILTE BILD ALS SYMBOLISCHE FORM IN FILM UND ANDEREN MEDIEN
Autor: Malte Hagener
Verlag: Bertz+Fischer
Seitenzahl: 240 (Paperback)
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